Scharfe Kritik an Erdogans geplantem Wien-Auftritt

Erdogan bei seinem Köln-Besuch am 24. Mai 2014.
Parlamentarische Anfrage von Peter Pilz: "Gefährdet friedliches Zusammenleben."

Der für Donnerstag geplante Wien-Besuch des türkischen Premierministers Tayyip Erdogan in der Albert-Schultz-Halle polarisiert - und erntet weitere Kritik. In einer Parlamentarischen Anfrage des Grünen Abgeordneten Peter Pilz an Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) wird unter anderem gewarnt, dass die Rede "das friedliche Zusammenleben der Bevölkerung gefährde". Pilz bezieht sich dabei vor allem auf Aussagen Erdogans im Mai 2014 in Köln. Ein Beispiel, das in der Anfrage auch angeführt wird: "Wir können keine Zugeständnisse machen von unserer Sprache und unserer Kultur."

Neben der Integrationsfrage thematisiert Pilz in seiner Anfrage auch die Proteste in der Türkei: "Erdogan ist dafür bekannt, in seinen Reden gegen demokratische Oppositionelle, unabhängige Medien und ander Kritiker seiner Politik zu hetzen." Daher will er von Außenminister Kurz wissen, ob es zulässig sei, wenn der türkische Ministerpräsident in Österreich politische Wahlkampfreden abhält und ob es zu Kontakt mit Funktionsträgern der Republik Österreich kommen wird.

Unterdessen wirft der geplante Auftritt Erdogans auch im Innenministerium seine Schatten voraus.

Mikl-Leitner wünscht sich "sensibles Vorgehen"

Bei einer Pressekonferenz am Montag schloss sich Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) dem Appell ihres Parteikollegen, Außenminister Sebastian Kurz, an und wünschte sich "sensibles Vorgehen" vom Premier.

Die Ansprache Erdogans dürfe "keinen Keil in die türkische Community treiben", meinte Mikl-Leitner. Denn die türkische Bevölkerung solle in Wien in Ruhe leben können. Auch wenn es sich um einen Privatbesuch Erdogans handle, müssten natürlich alle sicherheitspolitischen Maßnahmen gesetzt werden, betonte die Ministerin.

Auftritt noch nicht genehmigt

Derzeit müsse die Veranstaltung in der Albert-Schultz-Halle, bei der Erdogan auftreten soll, vom Magistrat noch genehmigt werden. Dann werde man zusammen mit dem Verfassungsschutz, dem Einsatzkommando Cobra und der Polizei ein Sicherheitskonzept ausarbeiten. "Wir müssen dafür sorgen, dass die Veranstaltung friedlich und sicher über die Bühne geht", betonte Mikl-Leitner. Sie rechne jedenfalls auch mit Gegendemonstrationen: "Wir werden uns darauf einstellen."

Die Polizei ging am Montag davon aus, dass Tayyip Erdogan am Donnerstag in der Albert-Schultz-Halle sprechen wird, auch wenn der Bescheid dazu noch nicht vorlag. Laut Johann Golob, Sprecher der Landespolizeidirektion Wien, waren zu dem Besuch Demonstrationen für den Heldenplatz in der Innenstadt sowie für den Westbahnhof, unweit der Wiener Stadthalle angemeldet, "aber diese Anmeldungen liegen schon länger zurück".

Konferenz am Dienstag

Am Dienstag werden Vertreter der Exekutive mit den Anmeldern der Demonstrationen konferieren. Dann weiß die Polizei Golob zufolge, welche Veranstaltungen wann, wo und unter welchen Umständen geplant sind. Dementsprechend werden die Beamten ihre Einsatzpläne anlegen. "Klar ist: Wir werden den Veranstaltungsort für Erdogan in irgendeiner Form schützen müssen", sagte der Polizeisprecher.

Auch der Landesparteiobmann der Wiener ÖVP, Manfred Juraczka, forderte Erdogan auf, seine Worte "behutsam" zu wählen. "Ich hoffe, dass er die Integrationsbemühungen der Regierung unterstützt und nicht konterkariert", so Juraczka.

Drinnen, in der wohl bis zum letzten Platz randvollen Wiener Albert-Schultz-Eishalle, und auch draußen – es werden Tausende sein, die am Donnerstag kommen, um den türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan zu sehen. Die einen, um ihn anzufeuern, die anderen, um gegen ihn zu protestieren.

"Ich werde schon hingehen. Ich möchte hören, was Erdogan den türkischen Bürgern hier in Österreich mitteilen will. Sicher ist: Die Person Erdogan spaltet. Er hat viel bewirkt, die Türkei ist im Aufwind, aber er agiert mir eine Spur zu autoritär", sagt Ümit Basgün. In Wien geboren und aufgewachsen, ist der 39-jährige Mitarbeiter einer Werbeagentur einer von rund 115.000 türkischen Staatsbürgern in Österreich. Damit hat Basgün bei der ersten Volkswahl eines türkischen Präsidenten die Möglichkeit mitzustimmen – und zum ersten Mal wird er dafür nicht in die Türkei fliegen müssen, sondern kann auch in Österreich seine Stimme abgeben.

Kostbare Stimmen

Für den türkischen Premier, der unbedingt Präsident werden will (siehe unten), sind die Stimmen vieler Millionen Auslandstürken unverzichtbar. Und so wird es denn lupenreiner Wahlkampf sein, wenn Erdogan in der Wiener Eishalle seinen Anhängern einheizt. Auch wenn der Auftritt des Premiers offiziell als Jubiläumsfeier für den einladenden Verein "Union Europäisch Türkischer Demokraten" (UETD) gehandelt wird.

"Erdogan hat eine Marktlücke entdeckt, er nützt in den EU-Staaten sein Wählerpotenzial aus. Viele der in Deutschland oder Österreich lebenden Türken kommen aus der Heimatregion Erdogans, in Österreich hat er viele Anhänger", sagt der Wiener Unternehmer Edip Bayizitlioğlu. Er kam als 14-Jähriger mit seinen Eltern nach Wien und hat hier ein weltweit tätiges Unternehmen, das Präzisionswerkzeuge herstellt, aufgebaut. "Der Wien-Besuch von Erdogan hat den Charakter eines Fußballmatches. Ich vermisse an Erdogan aber die Diskretion, die ein Staatsmann haben müsste. Es fehlt ihm an Respekt und Sensibilität", sagt der Vorstand des Verbandes österreichischer und türkischer Unternehmen (ATIS).

Der umstrittene türkische Premier hin oder her – Journalist Birol Kilic lehnt wahlkämpfende Politiker aus der Türkei in Österreich prinzipiell ab, unabhängig von Person und politischer Gesinnung. Der Vorsitzende der türkischen Kulturgemeinde in Österreich, Herausgeber und Verleger findet solche Auftritte überflüssig und destruktiv. "Wozu sollen unsere Leute hier türkische Politiker wählen? Die können unsere Probleme in Österreich ja nicht lösen." Zudem herrsche rund um die Veranstaltung eine "aufhetzende Atmosphäre" – "die Türken untereinander werden aufgehetzt: Aleviten, Sunniten, Liberale, Konservative und Moderne. Und man liefert den Kritikern in Österreich neues Material."

"Großer Meister"

Schon seit Tagen gehen in der türkischen Community, in der Netz-Gemeinde, unter Freunden, selbst in türkischen Familien in Österreich die Wogen hoch. Die einen wollen für den "großen Meister" Flagge zeigen, die anderen den streitbaren Regierungschef mit Hang zum Autoritären nicht in Ankara an der Macht – und schon gar nicht in Österreich auf Wahlkampf – sehen. "Die Leute, die ihn unterstützen, hinterfragen nichts, sie unterstützen ihn blind", analysiert Teoman Tiftik. Der junge Journalist sieht aber auch, wo diese bedingungslose Anhängerschaft herrührt: "Er hat es geschafft, den Menschen Selbstvertrauen zu vermitteln. Sie haben das Gefühl: Der lässt sich nichts dreinreden vom Ausland, nicht einmal von einer Merkel. Und er lässt sie teilhaben an dem Gefühl: Wir werden eine Großmacht."

Der Österreicher Mehmet Ünlü, Präsident der Young Friends of Turkey, einer EU-weiten Initiative junger Europäer für Dialog und Austausch, hat Premier Erdogan im Vorjahr bei einer Konferenz in Istanbul persönlich getroffen. Ünlü rechnet damit, dass Erdogan in Wien "vergleichbar mit seinem Auftritt in Köln im Mai diesen Jahres, teils polarisierend, teils ermutigend" zu seinen Fans sprechen wird. "Seine Worte werden jedoch nicht nur in Österreich, sondern auch in der Türkei unter die Lupe genommen werden", glaubt Ünlü. "Denn die Wahlregularien verbieten jeglichen Wahlkampf außerhalb der Landesgrenzen."

Nationalratsabgeordnete Nurten Yilmaz wird nicht in Wien sein, wenn der türkische Premier in der Bundeshauptstadt auftritt. "Aber ich würde auch nicht zu den Veranstaltungen gehen – weder für, noch gegen ihn", sagt die SPÖ-Politikerin. "Es geht nicht darum, ob er nach Österreich kommt oder nicht, sondern um das Warum. Gegen einen Besuch beim Forum Alpbach oder Ähnliches hätte keiner etwas gesagt, aber hier geht es um Wahlkampf."

Efgani Dönmez wiederum lehnt Erdogans "Wahlkampfauftritt in Österreich und seine polarisierende Politik" kategorisch ab. Nach Ansicht des grünen Bundesrates aus Oberösterreich ist "Österreich das Hinterland des politischen Islam geworden. Viele der Anhänger Erdogans leben zwar physisch in Österreich und Europa, aber in den Köpfen leben die meisten von ihnen nicht hier."

Islamistisches Weltbild

Wenn Erdogan seine Anhänger wie zuletzt im Mai in Köln dazu auffordere, sich nicht zu assimilieren, verschweige er, "dass er genau das in der Türkei der eigenen Bevölkerung abverlangt", meint Dönmez. "Allen, die sein islamistisches Weltbild und die Lebensweise nicht teilen, hat er den Krieg erklärt."

Der Schauspieler und politische Aktivist Fatih Köse hingegen kann die Aufregung um den bevorstehenden Erdogan-Besuch nicht nachvollziehen. "Es ist doch absolut normal, dass ein Ministerpräsident auf Auslandsbesuch ist", meint der Erdogan-Anhänger. Von der Rede des Ministerpräsidenten erhofft sich der junge Wiener, "dass er auf die Integration der Türken in Österreich eingeht; dass er uns auffordert, uns in die Gesellschaft zu integrieren, ohne uns assimilieren zu lassen".

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