Rote Phase ersetzt grüne Welle: Eine Stadt sieht rot
Der ARBÖ wollte es genau wissen: Bei einer Testfahrt vom 15. Bezirk nach Leopoldstadt musste Sprecher Sebastian Obrecht 35 Ampeln passieren. 19-mal bremsten ihn dabei Rotphasen ein: "Bei einer Fahrzeit von 30 Minuten hatte ich 13 Minuten 40 Sekunden Stehzeit. Die grüne Welle ist in Wien großteils abgeebbt, eigentlich ist sie verschwunden."
Martin Hoffer, ÖAMTC-Jurist, wird noch deutlicher: "Manche Straßen sind regelrechte Brems-Strecken geworden. Dort, wo eine grüne Welle möglich wäre, sind sinnvolle Intervall-Schaltungen deutlich zurückgegangen. In Sachen professioneller Planung ist hier noch deutlich Luft nach oben." Tägliche Beschwerden zum Thema gehören bei den Autofahrerclubs zum Tagesgeschäft.
Kein Cent für grüne Welle
"Grüne-Wellen, die es vor 2012 gab, gibt es auch heute. Wir bekennen uns aber zum Öffi-Vorrang"
ÖAMTC-Jurist Hoffer äußerte im KURIER-Telefonat dahingehend eine Beobachtung, verbunden mit einem Verdacht: "Seit etwa einer Woche habe ich den Eindruck, dass so manche grüne Welle wieder eingerichtet ist. Der Verdacht liegt nahe, dass sich die politischen Entscheidungsträger in jetzigen Vorwahlzeiten nicht weiter mit den Autofahrern anlegen möchten." Nachsatz: "Und nach der Wahl heißt es wieder Stop-and-Go."
Konkurrenz zum Kfz
Tatsache ist, dass der Individualverkehr mit Fußgängern und Öffis in direkter Konkurrenz steht. Denn immer häufiger wird Straßenbahnen und Bussen auf Kreuzungen sowie Abbiege-Spuren der Ampel-Vorrang eingeräumt. Auch Fußgängerampeln mit Grün-Druckknopf unterbrechen den Verkehrsfluss. "Sie sind nicht im Koordinierungsprogramm integriert, da sie auch nicht berechnet werden können", erläutert Verkehrsplaner Walter Mimmler von der zuständigen MA 33 (Öffentliche Beleuchtung).
35 Millionen Euro Steuergeld investierte die Stadt Wien 2008 – unter SP-Verkehrsstadtrat Rudolf Schicker – in die Verkehrsleitzentrale in der Rossauer Kaserne. Inklusive Hochleistungsrechner und modernster Programme. Das Straßennetz im und rund um den neuen Stadtteil am Hauptbahnhof zeigt jedoch, dass selbst modernste Technik keine grüne Welle "erzwingen" kann. Beim KURIER-Lokalaugenschein im Stadtentwicklungsgebiet war Rot die Modefarbe. Bei so gut wie jeder Ampel musste gestoppt werden. Einige Autofahrer hingegen stiegen aufs Gas und bretterten mit bis zu 80 km/h vom Gürtel durch die Reisingergasse, um nicht stoppen zu müssen. "Ständig rote Ampeln erhöhen die Verkehrssicherheit nicht", warnt daher ARBÖ-Sprecher Obrecht.
Vize-Bürgermeisterin Maria Vassilakou kündigt nun die Erstellung eines Wiener Kreuzungskatasters an: "Ampelschaltungen sollen dabei für die jeweilige Nutzung optimiert werden."
Walter Mimmler ist Fachbereichsleiter in der MA 33 (Öffentliche Beleuchtung) und zuständig für Ampel-Schaltungen.
KURIER: Warum wurden seit 2012 die Ampelschaltungen in Wien nicht mehr nachjustiert?
Walter Mimmler: Weil die seit 2008 laufenden Programme abgeschlossen waren.
Ändern sich in drei Jahren die Verkehrs-Parameter in Wien nicht?
Doch, aber Evaluierungen kosten Geld und dafür brauchen wir den politischen Auftrag.
Können Sie den Unmut wegen der vielen roten Ampeln nachvollziehen?
Eine grüne Welle so zu berechnen, dass sie auch seriös hält, ist enorm sensibel. Es gibt jede Menge Störfaktoren. Der Vorrang der Öffis macht uns einen Strich durch die Rechnung.
Warum müssen Autofahrer im Grätzl um den Hauptbahnhof bei fast jeder Ampel stoppen?
Die Berechnungen von 2012 schlossen den Wachstumsverkehr bis 2018 ein. Es wurde quasi in die Zukunft berechnet. Und es gibt noch viele Baustellen vor Ort.
Hat Wien Potenzial für weitere Grüne-Wellen-Strecken?
Sie sind nur in eine Fahrtrichtung möglich. Werden sie installiert, leiden die Lenker der anderen Richtung.
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