Rot-grüner Dauer-Ausnahmezustand in Wien

Sieben Jahre arbeiteten Vassilakou und Häupl zusammen. Wem Ludwig im Rathaus den Weg zeigen wird, ist noch offen.
Die Wechsel an der Spitze von SPÖ und Grünen hemmen die inhaltliche Arbeit. Eine Bestandsaufnahme.

Der Stillstand im Rathaus schlich sich im Frühling des Vorjahres ein. Langzeit-Bürgermeister Häupl verlautbarte damals seinen Rückzug – und die Regierung fiel in eine abwartende Starre. Diese wiederholt sich nun mit Maria Vassilakous angekündigtem Rückzug aus der ersten Reihe.

Häupl und Vassilakou haben damit eines gemeinsam: Beide haben ihren Abgang aus der Politik (zu) lange hinausgezögert – und die Stadt mit langen Übergangsphasen lahm gelegt. Ihr Beispiel zeigt: Sind die Protagonisten einer Koalition angezählt, schwindet deren Gestaltungskraft. Statt Konflikte über Vorhaben auszustreiten, existiert plötzlich die Option, auf ein besseres Einvernehmen mit dem Nachfolger zu hoffen. Hinzu kommt die Unsicherheit: Was Michl (Häupl) goutiert, könnte Michi (Ludwig) missfallen. Um sich nicht selbst abzusägen, sind Stadträte mit Initiativen im eigenen Ressort vorsichtig – bis die Personalrochaden über die Bühne sind.

In Wien äußerte sich das so: Bis zur Kür Michael Ludwigs zum Parteichef im Jänner blieb die Reform der Mindestsicherung das einzige Großprojekt, das die Stadtregierung umsetzte. Nur zwei Tage später traut sich Vassilakou mit ihrer monatelang angekündigten Lobautunnel-Studie aus der Deckung. Neuer roter Ansprechpartner, neues Glück.

Nach dem politischen Sommerschlaf hemmt nun Vassilakous terminisierter Abgang große Würfe – das zeigte die jüngste Regierungsklausur. Der KURIER hat recherchiert, welche offenen Posten aus dem Koalitionspakt auf Ludwig und sein künftiges Gegenüber warten – und was bereits gelang.

Verwaltungsreform

Die versprochene „größte Verwaltungsreform in der Geschichte der Stadt“ hat – zumindest öffentlich – im Wesentlichen Arbeitsgruppen gebracht. Auch die Umstrukturierung des Krankenanstaltenverbunds (KAV) ist ausständig. Immerhin: Die Besoldungsreform brachte Magistratsbediensteten 1670 Euro Mindestgehalt.

Wohnbau

Von den versprochenen 2000 Gemeindewohnungen bis 2020 werden bisher lediglich 120 errichtet. 75 sollen bis 2021 in der Seestadt Aspern folgen, weitere 300 in der Leopoldstadt. Im Herbst beschließt der Gemeinderat die Bauordnungs-Novelle, die den sozialen Wohnbau ankurbeln und Spekulation verhindern soll.

Märkte

Neue Märkte in Stadtentwicklungsgebieten sind nach wie vor Zukunftsmusik, ebenso die Erneuerung von Hannover- und Viktor-Adler-Markt. Zumindest der Entwurf der neuen Marktordnung liegt inzwischen auf dem Tisch, sie soll am 1. Oktober in Kraft treten.

Krankenhaus Nord

Mit dem Schachzug, die U-Kommission zur Pannen-Baustelle selbst einzusetzen, ist der Regierung eines gelungen: Die Arbeit des Gremiums wird im März 2019 – und damit vor dem nächsten Wahlkampf – abgeschlossen sein. Ob in der kurzen Zeit eine echte Aufarbeitung des komplexen Projekts gelingt, ist fraglich.

Verkehr

Herrengasse und Lange Gasse wurden zu Begegnungszonen, Otto-Bauer-Gasse und Rotenturmstraße sollen bald folgen. In den Flächenbezirken sind solche Projekte ausständig. Der Lobautunnel wird – trotz grüner Kritik – wohl gebaut. Das Parkpickerl gilt nun auch in Währing, Favoriten sowie Teilen Meidlings – und bald im Zentrum Simmerings. Die Öffi-Jahreskarte kostet weiterhin 365 Euro – aber nur bei Einmalzahlung.

Wahlrechtsreform

Der mehrheitsfördernde Faktor bei der Mandatsverteilung – von dem vor allem SPÖ und FPÖ profitierten – wurde halbiert. Die Grünen hatten den „Verzerrer“ ursprünglich komplett abschaffen wollen.

Mindestsicherung

Wie im Koalitionspakt vereinbart, wurde das Sozialgeld nicht gekürzt. Für junge Bezieher gelten aber strengere Regeln – sie müssen etwa bereit sein, zu arbeiten.

Häupls und Vassilakous Meilensteine

2015: Fortsetzung Im November fixieren Michael Häupl und Maria Vassilakou die Fortführung von Rot-Grün.

2017: Häupl nennt Termin Im April wird bekannt, dass sich Häupl nach der Nationalratswahl im Herbst zurückziehen wird. Sein Nachfolger soll im Jänner am Lan-desparteitag gewählt werden, konkretisiert er im Sommer.  

2017: Duell um die Spitze Nachdem sich vorerst nur Wohnbaustadtrat Michael Ludwig offen als Häupl-Erbe ins Spiel gebracht hatte, steigt im November Parlamentsklubchef Andreas Schieder in den Ring – vergeblich.

2017: Rücktrittsforderungen Grüne Heumarkt-Gegner fordern nach dem miserablen Wahl-ergebnis im November Vassilakous Rücktritt – sie bleibt aber.

2018: Finale Übergabe Im Mai 2018 wählt der Gemeinderat Ludwig zum neuen Bürgermeister und vier neue Stadträte.

2018: Vassilakous Aus Vor einer Woche gibt die grüne Vizebürgermeisterin bekannt, ihre Funktion bis Frühsommer 2019 an einen neuen Spitzenkandidaten zu übergeben. Wer das sein wird, soll im November feststehen. 

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