Römermuseum: Das Rätsel unter dem Bauernmarkt

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Archäologische Grabungen brachten einen unterirdischen Raum zutage. Aber wofür hat er gedient?

Dass in Wien derzeit zahlreiche Infrastrukturprojekte umgesetzt werden, ist für die Wiener Stadtarchäologie eine Herausforderung. Es ist aber auch eine Chance, sagt Kristina Adler-Wölfl, eine der Kuratorinnen der neuen Ausstellung im Römermuseum. Denn wenn der Boden aufgegraben wird, öffnet sich mit etwas Glück ein Fenster in die Vergangenheit der Stadt.

So wie 2021/22 am Wiener Bauernmarkt. Bei Grabungen für Fernkälteleitungen stieß man dort nur etwa 75 cm unter dem heutigen Straßenniveau auf einen großen Steinquader. Der bedeckte ein schmales Fenster mit einer Öffnung von nur 25 cm – eher ein Fensterschlitz. Und dieser wiederum befand sich, so rekonstruierten es die Wiener Stadtarchäologinnen und -archäologen, ganz oben in der Außenwand eines fünf Meter tiefen und 450 m2 großen Kellers. Ein Ausmaß, das für einen Kellerraum am römischen Donaulimes in dieser Form einzigartig ist.

Vorläufige Rekonstruktion des unterkellerten römischen Gebäudes.

Vorläufige Rekonstruktion des unterkellerten römischen Gebäudes.

Somit stellte sich allen Beteiligten die große Frage: Welchem Zweck diente dieser rätselhafte Raum? Den darauf folgenden „Indizienprozess“, wie die Kuratorinnen ihn nennen, bildet die Ausstellung „Kellergeschichten“ ab. Sie ist ab sofort in einem Raum des Römermuseums (1, Hoher Markt 3) zu sehen.

Pro und Contra

Räumlich befand man sich hier mitten im römischen Legionslager, zeitlich konnte man den Keller auf das 4. Jh. n. Chr. datieren. Wofür hat man hier also diesen Raum gebraucht? Für einen gewöhnlichen Hauskeller ist er zu groß. Denkbar wäre ein Mithräum, ein Heiligtum für den Gott Mithras. Der Grundriss spräche dafür – sonst allerdings nur wenig. Handelt es sich um ein Horreum, einen Getreide- und Vorratsspeicher? Die Position innerhalb des Lagers könnte darauf hindeuten. Allerdings: Horrea haben üblicherweise kein Fenster.

Tatsächlich deuten die meisten Hinweise darauf hin, dass es sich hier um ein Gefängnis, einen sogenannten Carcer, handelt. Dafür sprechen unter anderem die Tiefe des Raumes, das unerreichbar hohe Fenster – und eine Säule direkt davor, die ein Entkommen zusätzlich verhindert hätte. Dass der Keller auch für einen Carcer relativ groß ist, könnte durch die zahlreichen Gefangenen erklärt werden, die die vielen Kriege mit sich brachten. Außerdem wurden besonders in der Spätantike auch zahlungsunfähige Schuldner und politische Gefangene inhaftiert.

Ausstellungsansicht "Kellergeschichten"

Ausstellungsansicht "Kellergeschichten"

Leerstellen bleiben

Ganz lässt sich das Puzzle unter dem Bauernmarkt jedoch nicht mehr vervollständigen. So fehlen beispielsweise in die Wand eingelassene Fesseln oder Graffiti an den Wänden, wie sie in anderen römischen Gefängnissen gefunden wurden.

Ebenso bleibt im Dunkeln, wer hier inhaftiert war. Historische Quellen lassen jedoch die Haftbedingungen in römischen Kerkern erahnen. Ein Bericht aus dem 2. Jh. n. Chr. beschreibt sie so: „Der aus großen Steinen gebaute Kerker lässt durch schmale Ritzen nur wenig Licht nach innen; die Angeklagten starren auf die Mauern. [...] Ihr Körper starrt vor Schmutz, und ihre Hände werden in Ketten gehalten.“

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