Prozess nach Messerangriff in Kanzlei: „Da bin ich voll ausgezuckt“:

Prozess Anwaltskanzlei
Am 3. Februar 2024 stach ein Mann 16-mal auf die Mitarbeiterin einer Anwaltskanzlei in Wien ein. Am Donnerstag fand am Wiener Landesgericht das Verfahren statt.

Die Frau mit den hochgesteckten hellen Haaren wirkt gefasst, spricht ruhig und klar. „Den Faustschlag habe ich gar nicht wahrgenommen, nur dass er mich zu Boden geschleudert hat. Ich habe versucht, wieder aufzukommen, da habe ich gesehen, dass er ein Messer zieht.“ Mit diesem Klappmesser stach der Mann, um dessen Tat es an diesem Donnerstagvormittag im Wiener Straflandesgericht geht, 16-mal auf die am Boden liegende Frau ein.

Seine Schuld steht zweifelsfrei fest. Es gibt einen Zeugen, er ist geständig, und es gibt belastendes Videomaterial aus dem teilweise kameraüberwachten Innenhof, in dem sich die Tat zugetragen hat. Doch um seine Schuld geht es bei diesem Schwurgerichtsverfahren nicht – sondern um die Frage, ob er in einem forensisch-therapeutischen Zentrum untergebracht werden soll. Denn der Mann, der in grauer Strickweste, ausgebeulter Jogginghose und Crocs schwerfällig zur Anklagebank schlurft, leidet unter einer ausgeprägten paranoiden Schizophrenie. Er ist nicht schuldfähig.

Geldübergabe

Zur Tat kam es am 3. Februar 2024: Der 54-Jährige, für den eine Anwaltskanzlei in Wien-Landstraße die Erwachsenenvertretung innehatte, kam an diesem Tag gegen 12 Uhr dorthin, um sich – so wie alle zwei Wochen – sein Geld abzuholen. Bis dahin, so die Aussage der Kanzlei-Mitarbeiterin vor Gericht, habe es nie Probleme mit ihm gegeben. 

Viermal habe sie davor die Geldübergabe bereits mit ihm durchgeführt, immer im Innenhof des Kanzleigebäudes. Am 3. Februar musste die 56-jährige Frau ihn jedoch zunächst wieder wegschicken. „Ich habe ihm gesagt, dass ich zwischen 12 und 14 Uhr nichts auszahlen kann.“

40 Sekunden

Was sie nicht wissen konnte: Der Mann fuhr nach Hause, packte fünf Messer ein und kehrte um 15 Uhr bewaffnet wieder zurück. Er verlangte mehr Geld und wollte den zuständigen Anwalt sprechen. „Ich habe gesagt: ,Da brauchen Sie aber einen Termin.‘ Er hatte dann ein Funkeln in den Augen, ich habe so etwas noch nie gesehen“, sagt das Opfer. Der Mann versetzte der Frau einen Faustschlag, sie stürzte nach hinten auf den Boden.

Dort stach er mit der sieben Zentimeter langen Klinge auf sie ein. Ins Gesicht, in Brust und Bauch, in Arme und Beine. „Und dann hat er einfach aufgehört. Er hat noch so etwas gesagt wie: ,Das hast du jetzt davon, du Hure.‘“ Rund 40 Sekunden dauerte der Angriff, der teilweise von der Überwachungskamera aufgezeichnet wurde. Die schwer verletzte Frau konnte sich dann noch selbst in die Kanzlei zurückschleppen.

"Schwere psychische Störung"

„Die Tat war nicht das Ergebnis eines kaltblütigen Plans, sondern einer schweren psychischen Störung. Es war ihm nicht möglich, das Unrecht seiner Taten zu erfassen“, sagt der Verteidiger des Mannes. Dieser Ansicht schließt sich der psychiatrische Sachverständige in seinem Gutachten an. Der Beschuldigte hat nämlich eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Erstmals sei Anfang der 2000er-Jahre bei dem Mann Schizophrenie diagnostiziert worden, gab dieser in seiner Befragung an. Dennoch blieb seine schwere psychische Erkrankung über fast 25 Jahre unbehandelt. Warum er seine Medikamente nicht durchgehend genommen habe, will der Richter wissen. „Weil sehr viele der Stimmen, die ich gehört habe, nicht verschwunden sind“, sagt der Mann, die Hände auf die Knie gestützt.

Er spricht undeutlich, trotz Mikro versteht man ihn kaum. Er sei am Tattag „voll ausgezuckt. Es hat keine Gedanken gegeben. Ich war so in einer Wut drinnen.“ Aber er habe für die Tat das „ungefährlichste Messer genommen“, das er dabei hatte. „Na ja, es war einfach ein Riesenglück, dass die Frau überlebt hat“, wirft der Richter ein. „Ja, kann man auch so sehen.“

Vom Geheimdienst verfolgt

Lange wurde der Mann von seiner Familie gestützt, erzählt der Sachverständige weiter. 2012 sei der Vater gestorben, 2022 dann die Mutter. Ein sehr bedeutsamer Einschnitt in das Leben des isoliert lebenden Mannes, wie der Gutachter betont. „Er hatte bizarre Verfolgungsideen, dass der Geheimdienst hinter ihm her ist, dass böse Kräfte auf ihn einwirken, dass er von allen schlecht behandelt wird.“ Jahre der Kränkungen und des Verfolgtwerdens hätten sich am Tattag entladen. „Die Krankheit war tat- und handlungsbestimmend.“

„Brandgefährlich“

„Der Betroffene ist krank. Er kann nichts dafür, aber er muss therapiert werden – und zwar hinter verschlossenen Türen“, sagt die Staatsanwältin in ihrem Schlussplädoyer. Andernfalls sei in absehbarer Zukunft mit weiteren schwerwiegenden Taten des „brandgefährlichen“ Mannes zu rechnen, wenn dieser nicht im Maßnahmenvollzug untergebracht werde.

Das Schwurgericht schloss sich dieser Einschätzung an und ordnete die zeitlich unbefristete Unterbringung des Mannes in einem forensisch-therapeutischen Zentrum an. Diese Unterbringung sei „alternativlos“, stellte der vorsitzende Richter fest. Die Entscheidung ist bereits rechtskräftig.

Kommentare