Prozess in Wien: Tränen, Küsse und eine Miss

Prozess in Wien: Tränen, Küsse und eine Miss
Frauen aus Venezuela sollen Callgirl-Ring geleitet haben. Verfahren dauert Monate

Die Familienbande sind stark: Als der Richter die Verhandlung fünf Minuten lang unterbricht, werden Umarmungen und Küsschen ausgetauscht. Ein paar Tränen fließen. Während des Prozesses hält man sich an den Händen. Die fünf Angeklagten, darunter drei Frauen, sind alle miteinander verwandt oder verschwägert. Ein „Familienunternehmen“ nennt es die Staatsanwältin am Mittwoch im Landesgericht für Strafsachen in Wien.

Gemeinsam sollen die Angeklagten – sie kommen allesamt aus Venezuela – Frauen nach Österreich gelockt und zur Prostitution gezwungen haben. Über den Fall wurde vor einigen Monaten breit medial berichtet. Auch deshalb, weil eine Beschuldigte eine ehemalige Miss ist.

Insgesamt 18 Frauen aus Venezuela und Kolumbien kamen nach Österreich. „Nicht alle haben gewusst, dass sie hier als Prostituierte arbeiten sollen. Manche dachten, sie arbeiten hier als Masseurinnen, in der Modelbranche oder als Kindermädchen“, sagt Staatsanwältin Julia Koffler-Pock. „Sie haben die schwierige wirtschaftliche Lage in Venezuela ausgenutzt, um die Frauen zu ködern. Sie mussten jeden Tag arbeiten, jede Sexualpraktik akzeptieren.“

Kunden als Fluchthelfer

Die Anwerbung in der Heimat soll die Mutter von zwei Verdächtigen übernommen haben. Die Angeklagten organisierten die Reise nach Österreich, holten die Frauen vom Flughafen ab. Eine Frau soll sechs Wochen lang in eine Wohnung gesperrt worden sein. Zumindest die Hälfte des Geldes soll den Frauen abgenommen worden sein. Einigen gelang mithilfe von Kunden die Flucht.

Dem widersprechen die Anwälte der Angeklagten. „Alle Mädchen wussten, dass sie hier als Prostituierte arbeiten. Sie konnten hier deutlich mehr verdienen als in ihrer Heimat. Und sie konnten sich auch jederzeit freinehmen“, sagt Mathias Burger, der die 34-jährige mutmaßliche Chefin vertritt.

Sie und die ehemalige Miss hatten selbst als Prostituierte gearbeitet. Ihr Leben in Österreich zelebrierten sie in sozialen Medien. Das hätte die anderen Frauen angesprochen. „Sie wurden Opfer ihrer eigenen Wünsche“, sagt eine Anwältin. „Sie gingen in schicke Restaurants, haben in Szenelokalen getanzt und in Nobelboutiquen eingekauft.“ Zudem hätten sie Geld in ihre Heimat schicken können. „Die lateinamerikanischen Moralvorstellungen sind eben anders als unsere.“

Die Organisation – vom Internetauftritt bis zur Terminvergabe und der Aufteilung des Geldes – sollen die beiden Frauen übernommen haben. Die beiden angeklagten Männer sollen nur Chauffeurdienste für die Damen geleistet haben. Die dritte angeklagte Frau dürfte nur eine Nebenrolle gehabt haben.

Haus in Florida

Die 34-jährige Chefin jedenfalls will niemanden gezwungen oder eingesperrt haben. Doch sie dürfte bestens verdient haben. So besitzt sie ein Grundstück mit Haus in Florida, zudem gibt es auffällig viele Konten. Bei einer Hausdurchsuchung wurden in der Wohnung 41.000 Euro in bar gefunden. „Die gehören mir nicht“, sagt sie vor Gericht.

Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt, wird aber mehrere Monate dauern. Ein Ende ist derzeit noch nicht absehbar.

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