Prozess gegen Schussopfer

Prozess gegen Schussopfer
Der von einem Polizisten neun Mal angeschossenen, angeblich gefährlichen Frau wurde im Rollstuhl der Prozess gemacht. Dem Schützen billigt die Anklägerin Notwehr zu.

Die Damentoilette im dritten Stock des Wiener Landesgerichts wird für diesen Tag gesperrt und in eine Ambulanz umfunktioniert. Richter Thomas Kreuter schiebt höchstpersönlich eine Kranken­trage hinein, auf der sich die Betroffene in Prozess­pausen ausstrecken kann. Kerstin A. wird von Justizwache­beamten im Rollstuhl in einen der kleinen Räume gezwängt, die sich hier Verhandlungssaal schimpfen.

(Im extra für Helmut Elsner reservierten Großen Schwurgerichtssaal sitzt der Bawag-Richter mit den Anwälten und wartet von einem Tag auf den anderen geduldig auf den angeblich für einen Prozessauftritt zu kranken Ex-Banker).

Die 37-jährige Kerstin A. verbarrikadierte sich in der Nacht auf den 7. März 2012 in ihrer Wohnung, als nach einem von ihr ausgelösten Brandalarm Feuerwehr und Polizei an ihrer Tür läuteten. Durch das Guckloch sah sie nur dunkle Gestalten auf dem finsteren Gang und geriet in Panik, es wolle jemand bei ihr einbrechen. Als die Beamten fünf Mann hoch tatsächlich in die Wohnung stürmten, ging sie laut Staatsanwältin Bettina Rudl mit zwei "wirklich großen, heftigen Küchenmessern" auf diese los. Ein Polizist schoss neun Mal auf die Frau, die man zuvor in einem Funkspruch bereits als "tobende Psychopathin" eingeschätzt hatte, ohne aber auf ein für solche Situationen geschultes Sonderkommando zu warten.

Unzurechnungsfähig

"Wir müssen uns hier den Kopf zerbrechen, welche Hilfe Sie brauchen", sagt der Richter zu Kerstin A. Das ist nur die halbe Wahrheit, denn Staatsanwältin Rudl will sie für unbestimmte Zeit in eine Anstalt einweisen lassen, nachdem die Gerichts­psychiaterin die 37-Jährige wegen paranoider Schizophrenie für unzurechnungsfähig und gefährlich befunden hatte. Es ist dieselbe Staatsanwältin, die auch gegen den Polizeischützen ermittelt hat und ihm offenbar Notwehr zubilligt. Denn als Kerstin A. von sieben Kugeln getroffen schon rücklings auf dem Boden lag und der Beamte zwei weitere Male feuerte, habe alles darauf hingewiesen, "dass sie noch einmal angreifen wollte".

Kerstin A. hingegen, die (in Begleitung von Anwalt Markus Dörfler) versucht, "hier durchzuhalten" und sehr klar aussagt, wollte ihren Angaben nach "niemandem etwas Böses tun. Ich habe keine Stichbewegungen gemacht. Für mich waren das räuberische Einbrecher, ich wollte nur abschreckend wirken, und das ist mir – muss ich leider sagen – offenbar auch gelungen, sonst hätte man nicht auf mich geschossen." Sie habe noch einen Arm in die auf ihr Herz gerichtete Schusslinie gehalten und die Schüsse gehört, aber keine Bilder mehr dazu.

Einer der Polizisten zeichnet als Zeuge wenig über­raschend ein gefährlicheres Bild. Er versteigt sich sogar dazu, von "wuchtigen Stichbewegungen" der Frau "gegen meine Stirn" zu sprechen. Heinz Patzelt von Amnesty International, der den Prozess beobachtet, bemängelt die Nachhilfe der Staatsanwältin in Richtung dieser Aussage. Dass der Beamte nur einen Schnitt am Daumen davongetragen hat, erklärt sie mit den Handschuhen, die er getragen habe.

Der Prozess wird am 25. September fortgesetzt.

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