Neuerscheinung: Ein Wien-Buch, das wehtut
Mit seiner prachtvollen Rokoko-Ausstattung zählt das Haus in der Bankgasse zu den schönsten Botschaftsgebäuden in Wien. Doch kaum ein Besucher ahnt, welch düstere Geheimnisse der Standort der ungarischen Botschaft birgt.
Im Keller soll die AVO, die berüchtigte Staatsschutzabteilung der ungarischen Staatspolizei, Gegner des kommunistischen Regimes festgehalten, gefoltert, ja sogar getötet haben, berichten Zeitzeugen. Viele Ungarn seien in diesem Keller gestorben, manche der Leichen später in der Donau aufgetaucht.
Jenseits aller Gemütlichkeit
Das erfährt man im Buch „Dunkles Wien“ der Autoren Robert Bouchal und Johannes Sachslehner, das soeben im Styria Verlag erschienen ist. Sie führen die Leser auf eine Reise durch ein Wien jenseits aller Gemütlichkeit und Heurigen-Weinseligkeit. Sie schildern „jene Geschichte, die wehtut, die in alten Wunden wühlt, die vom grausamen Wechselspiel von Macht und Ohnmacht, von Unterdrückung, Tod und Auslöschung erzählt“, wie sie sagen.
Neben den prominenten Symbolen der Wiener Abgründigkeit – wie dem Narrenturm mit seiner weltweit wohl einzigartigen Sammlung medizinischer Präparate – finden sich auch weithin unbekannte unheimliche Orte im Buch.
Finstere Gänge
Etwa ein riesiges Netz an Kellergängen unter dem Palais Chotek im 9. Bezirk. Die Autoren waren sich nicht zu schade, die finsteren Gänge, die früher einmal als Weinkeller dienten, selbst zu erforschen. Einzelne Flaschen lagern immer noch dort. Im Zweiten Weltkrieg suchten Menschen dort bei Bombenangriffen Zuflucht. Gasmasken-Filter und Aufschriften zeugen noch davon.
Einige weitere Kapitel des Buchs beschäftigen sich mit den düsteren Hinterlassenschaften der NS-Zeit. Etwa den Saurerwerken in Simmering, wo KZ-Zwangsarbeiter Wehrmachtsfahrzeuge bauen mussten. Oder der Anstalt am Spiegelgrund, wo kranke und behinderte Kinder bei medizinischen Versuchen gequält und getötet wurden. Tragisch ist auch die Geschichte des jüdischen Friedhofs in Währing, wo Nazi-Rassenkundler Skelette als Untersuchungsmaterial ausgaben ließen.
Wiens erstes Bordell
Weniger bekannt ist die ehemalige „k.k.-Weiberstrafanstalt“, die 1871 bis 1874 vor den Toren Wiens in Wiener Neudorf errichtet wurde. Statt Wachpersonal beaufsichtigten Klosterfrauen die Häftlinge.
Das Experiment misslang: Schon Zeitgenossen kritisierten die menschenunwürdigen Bedingungen. Eine Besonderheit ist die noch erhaltene Anstaltskirche mit ihren imposanten Fresken, die heute als Lager dient.
Verrucht ging es einst hingegen in der Girardigasse zu: In der Zeit des Austrofaschismus entstand hier Wiens erstes Haus, das zur Gänze als Bordell geplant und gebaut wurde.
Der Hintergrund: Das Schuschnigg-Regime hatte den Straßenstrich verboten, der unter anderem am nahen Naschmarkt beheimatet war. Heute befindet sich dort sinnigerweise die Puff-Bar, wo Hipster ihre Cocktails schlürfen.
Schwierige Recherche
Nicht immer hatten es Bouchal und Sachslehner bei ihren Recherchen ganz einfach. Gemeint ist damit nicht nur, dass sie sich oft wie Abenteurer durch finstere, stickige Gänge zwängen mussten. „Wer sich in Wien den dunklen Seiten der Stadt zuwenden möchte, erfährt wenig Unterstützung“, beklagen sie zudem im Vorwort.
„Vielfach haben wir bei unseren Nachforschungen das Gefühl: Da ist jemand lästig – wie werden wir die beiden nur wieder schnell los?“
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