Neue Heimat, neues Leben

Sidra und Fortun fühlen sich im Haus Liebhartstal wohl
Im einstigen Mädchenwohnheim der Samariter leben jetzt auch Burschen.

Ende Juli 2015 war alles ganz chaotisch. Im Garten spielten junge Mädchen Kennenlernspiele mit dem Ball, drinnen stapelten sich Kartons mit Sachspenden. Denn 22 Mädchen aus Syrien, Somalia, dem Irak und Afghanistan zogen ins Haus Liebhartstal in der Thaliastraße in Wien-Ottakring. Das ehemalige Pensionistenwohnheim wurde damals vom Samariterbund zu einem Quartier für geflüchtete Mädchen umfunktioniert: Die Stadt Wien hatte die 22 (und 28 weitere) unbegleitete geflüchtete Mädchen zu Beginn der Flüchtlingskrise aus dem Erstaufnahmezentrum Traiskirchen nach Wien geholt.

Und heute? Heute leben in der einen Hälfte des Hauses geflüchtete Familien, in der anderen 45 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) im Alter von 14 bis 18 Jahren – Mädchen und Burschen gemischt. In jedem der vier Stockwerke ist eine Wohngemeinschaft mit 15 Jugendlichen eingerichtet.

Durchgemischt

"Wir mischen ganz bewusst durch", sagt Christine Okresek, Leiterin des UMF-Hauses Liebhartstal. "Das ist eine Vorbereitung auf das Leben in Österreich" – wo es selten strikte Trennung zwischen Männern und Frauen gebe. Für die meisten Mädchen war das neu, viele waren nicht gerade begeistert von der Idee, unter einem Dach mit Burschen zu wohnen. "Ganz sicher ist es so, dass das nicht für jedes Mädchen passt – auch aufgrund ihrer Geschichte", sagt Okresek.

"In unserer Kultur gibt es das nicht", sagt Hajat (18) aus Somalia. "Am Anfang wollten wir die Burschen nicht. Sie waren nervig", erzählt Fortun (16), ebenfalls aus Somalia. Einige sahen das damals genauso: "Am Anfang war es sogar so, dass die Mädchen gesagt haben: Christine, wir brauchen eine Küche nur für uns, ohne Jungs", erzählt die Leiterin des Hauses. Nach einem Gespräch hätten sie sich auf einen Tag pro Woche geeinigt, an dem die Mädchen in der Küche für sich sein können.

Neues Leben

Für viele Jugendliche ist das Alter zwischen 14 und 18 Jahren wohl eines, wo es um Identitätsfindung geht. Schule ist ein großes Thema, sagt Okresek, genauso wie Ausbildung, Freunde, Ausgehen. Bei jenen, die nach Österreich gekommen sind, geht es auch darum, wie sehr sie sich der Kultur hier öffnen.

Bei den Mädchen kommt eine weitere Dimension dazu: Wie sehr verändern sie ihren Lebensstil durch das neue Leben hier? "Viele sehen, dass man Dinge hier auch anders machen kann", sagt Okresek. Sie treiben Sport, gehen aus oder ins Mädchenzentrum (Bericht re.), färben sich die Haare lila oder stellen das Kopftuch in Frage. Die einen würden es unbedingt anbehalten wollen, bei anderen "rutscht das Kopftuch nach und nach weiter nach hinten."

"Es gibt auch viel Kontrolle innerhalb der Community", sagt Okresek. Aber die meisten Mädchen hielten das schon aus.

Manche, die allein gekommen sind und später ihre Familie nachholen können, geraten dann auch in Auseinandersetzungen mit ihrer Familie. Denn während die Mädchen hier oft mehrere Jahre auf ihre Familien warten, entwickeln sie sich weiter und leben vielleicht ein anderes Leben als zuletzt in der Heimat. Manche Mädchen verlassen ihre Heimat als Kinder. Wenn sie später hier ihre Eltern hier wiedersehen, sind sie junge Erwachsene, die sich mitunter einen anderen Lebensstil angeeignet haben.

Das Zusammenleben mit den Burschen im Haus Liebhartstal funktioniert übrigens mittlerweile ganz gut. "Wir sind Freunde geworden", sagt Fortun.

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