"Neubers Enkel": Eine Drogerie mit viel Geschichte

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Neubers Enkel leben schon lange nicht mehr – ihr Geschäft gibt es aber heute noch. Dieses Jahr feiert es sein 160. Jubiläum. Ein Besuch bei den heutigen Besitzern.

1865 war in Wien ein bewegtes Jahr. Die erste Pferdetramway verband das Zentrum mit der Vorstadt, die Ringstraße wurde feierlich eröffnet. Und ein gewisser Wilhelm Neuber kaufte in „Gumpendorf, Obere Annagasse 139 nächst Brücke“ ein Farbwarengeschäft samt dazugehörigem Haus für 4.000 Gulden. An ebendieser Ecke, heute Brückengasse Ecke Linke Wienzeile, findet man das Geschäft auch heute noch, 160 Jahre später. „Neubers Enkel“ prangt in großen Lettern auf der Fassade des denkmalgeschützten Gründerzeithauses.

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Das Neuber-Haus an der Linken Wienzeile.

Die Geschicke der traditionsreichen Wiener Drogerie leitet hier heute das Geschwisterpaar Renate Holzer-Kristen und Markus Kristen. Hier wiederholt sich die Geschichte: Denn schon ihre Mutter und deren Bruder, die einst als Lehrlinge bei den namensgebenden Enkeln des Gründers begonnen hatten, hatten von Letzteren das Geschäft übernommen. Und auch Neubers Enkel höchstpersönlich waren Bruder und Schwester.

Von Aceton bis Zinnoxid

Obwohl sich über die Generationen einiges verändert hat, versprüht das Innere des Geschäftslokals noch den Charme der 70er-Jahre, als die Verkaufsräume zuletzt umfassend umgestaltet wurden. Eine Zeitkapsel, in der es sehr viel zu entdecken gibt. Auf einem Regalbrett, das im Verkaufsraum oben entlang einer Wand verläuft, stehen große, dunkelbraune Apothekergläser. Auf den Etiketten stehen lateinische Namen wie „Herba Majoranae“ oder „Acaciae“. 

In den Regalen findet sich alles, was man rund um die Arbeit im Haushalt und auch im normalen Alltag brauchen könnte: von Streichhölzern und Lampenöl über Pflanzendünger und Naturseife bis hin zu Schnürsenkeln und Spachtelmasse.

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Im Geschäft gibt es viel zu entdecken.

„Wir haben heute noch Kunden, die jede Woche kommen und Waschpulver und Klopapier kaufen“, erzählt Holzer-Kristen. „Die könnten das auch im Supermarkt kaufen, aber kommen lieber zu uns“, sagt sie stolz. „Und während Corona, am Anfang, da waren dann alle froh, dass es auch bei uns Klopapier gibt, weil es im Supermarkt ausverkauft war.“

Den ersten Lockdown haben die beiden als besonders intensive Zeit in Erinnerung. An dem offiziell ersten Tag des Lockdowns, einem Samstag, wurde ihr Geschäft von Kundschaft gestürmt. „Alle wollten Desinfektionsmittel. Und um halb zwölf war auch der letzte Tropfen Alkohol verkauft. So etwas haben wir noch nie erlebt“, sagt Kristen. 

Auch heute noch ist der Alkohol Isopropanol der Bestseller im Geschäft, erzählen die Geschwister. Denn mit Wasser verdünnt wird es zum wirksamen Desinfektionsmittel. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal der Großdrogerie: „Bei uns können Sie alle Kräuter, Öle und Chemikalien von einem Deka aufwärts bekommen“, erzählt Holzer-Kristen.

Die Chemikalien sind das Reich ihres Bruders und das Hauptgeschäft des Familienbetriebes. Die Abnehmer für diverse Säuren, Sulfate oder Chloride sind breit gestreut: Hochschulen, Putzereien, Restaurateure, aber auch das Bundesheer, wenn es etwa darum geht, Seuchenteppiche zu präparieren.

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Für den Privatgebrauch

Auch Privatpersonen lassen sich die unterschiedlichen Flüssigkeiten und Pulver abfüllen. „Wir haben zum Beispiel einen Kunden, dessen Hobby es ist, alte Zelluloidfilme zu entwickeln“, erzählt Kristen. Die passenden Chemikalien dafür erhält er nur hier. Nicht alles ist jedoch für den Verkauf an Privatpersonen zugelassen. Für manche Stoffe, die explosiv sind oder in der Drogenproduktion eingesetzt werden könnten, gibt es strikte Verbote. „Manchmal bekommt man schon ein komisches Gefühl, wenn jemand nach so einem Mittel fragt“, sagt Holzer-Kristen.

Aber auch daran merkt man, wie die Zeit vergeht. Denn früher war einfach viel mehr erlaubt. „Allein was es an Abbeizmitteln gegeben hat. Das hat man aufgetragen und in einer Minute war die Farbe herunten“, schwärmt Kristen. Aber, räumt er ein, sie waren auch hochgiftig. „Wenn etwas gesundheitsschädlich ist, muss man es natürlich verbieten.“

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In der ehemaligen Wohnung der Neubers im ersten Stock des Hauses.

Weitermachen

Die 160-jährige Geschichte des Geschäftes löst bei seinen heutigen Besitzern Stolz aus, kann aber auch eine Last sein. Es überwiegt jedoch das Gefühl der Verantwortung – zum einen den Angestellten gegenüber, dass die beiden bewog, die Geschäfte nach dem Tod von Mutter und Onkel weiterzuführen – auch die nächste Generation scheint übrigens interessiert, die Geschichte eines Tages weiterzuführen. Zum anderen eine Verantwortung und ein großer Respekt vor den Leistungen der vier vorhergegangenen Generationen an Drogisten, die dieses Geschäft bereits erleben konnte.

Ein Zeichen dieses Respekts: die repräsentative ehemalige Wohnung der Neubers im ersten Stock – mit ihrer Kassettendecke und ihren Buntglasfenstern – wird nicht privat genutzt, sondern dient, weitgehend im Originalzustand, als Ort für Besprechungen und Feiern. Von einer Wand schauen Wilhelm Neuber und seine Frau herunter. Sie wirken zufrieden.

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