Mariahilfer Straße war nur ein Mythos

Ein 13A auf der roten Busspur der neu gestalteten Mariahilfer Straße: Nach dem Willen der SPÖ sollen Busse und Radler aus der Fuzo verschwinden.
Auch das Parkpickerl hatte kaum Einfluss auf die Wahl. Die Neos schadeten VP und Grünen

Die ÖVP büßte in Wien im Schnitt 3,29 Prozent ein. Warum verlor sie aber ausgerechnet in jenen Bezirken, in denen sie gegen die Neugestaltung der Mariahilfer Straße bzw. gegen die Ausweitung der Parkpickerl-Zone eintritt, überdurchschnittlich hoch? Und warum gewannen die Grünen bundesweit dazu, während sie in Wien leicht verloren? Hatten die Hauptstreitthemen der vergangenen Monate – Mariahilfer Straße und Parkpickerl-Ausweitung – doch Einfluss auf die Bezirksergebnisse?

Sowohl Politologen als auch Bezirkspolitiker meinen: Nein. Das große schwarze und das kleine grüne Minus hätten dieselbe Ursache: die Neos.

Schwarze Verluste

Die Bezirksstatistiken (siehe Ergebnisse) lassen vermuten, dass die ÖVP mit dem Widerstand gegen die Umgestaltung der Mariahilfer Straße sowie mit dem Widerstand gegen das Parkpickerl – im 13., 18. und 19. Bezirk – auf die falschen Themen gesetzt hat.

Minus 5,29 in Mariahilf und minus 4,77 Prozent in Neubau – bei gleichzeitigen minimalen Verlusten für Grüne und SPÖ. Im sechsten Bezirk gewannen die Sozialdemokraten sogar 0,1 Prozent dazu. Von einer Denkzettel-Wahl infolge der Mariahilfer Straße kann also keine Rede sein. Selbst die Auswertung der Wahlkarten wird die Niederlage der ÖVP nicht mehr massiv schmälern.

Am Widerstand gegen die neue „MaHü“ liege das aber nicht, sind sich Gerhard Hammer, Chef der VP-Mariahilf, und sein Neubauer Kollege Daniel Sverak einig. Man werde an der bisherigen Marschrichtung festhalten. „Wäre die Mariahilfer Straße Grund für dieses Wahlergebnis, dann hätten Rot und Grün ja massiv dazugewinnen müssen“, meint Sverak.

Alleiniger Grund für die schwarzen Verluste seien die Neos, die viele Wähler aus dem bürgerlichen Lager angezogen hätten.

Mit Ursachenforschung wird sich die VP auch in Hietzing, Währing und Döbling – wo die VP bis dato gegen das Parkpickerl mobil macht – beschäftigen müssen: –5,81 Prozent im 13., –6,88% im 18. und –6,20% im 19.

Auch dort schließen die schwarzen Bezirksvorsteher jeden Zusammenhang mit dem Parkpickerl aus. „Wenn das so wäre, müssten SPÖ und Grüne ja jeweils ein Bombenplus haben“, schlägt Karl Homole aus Währing in dieselbe Kerbe wie Sverak aus Neubau. Die SPÖ kassierte im 18. aber ein Minus von 1,56 Prozent und die Grünen verloren 0,81 Prozent – sind mit 22,82 Prozent allerdings stärkste Kraft im Bezirk.

Wie seine Pendants aus Hietzing und Döbling, Silke Kobald und Adolf Tiller, erklärt Homole die VP-Verluste mit dem Antreten der Neos. „Das bürgerliche Lager hat sich geteilt“, sagt Tiller.

Die neutralen Beobachter sind derselben Meinung. „Die Verluste der VP haben mit den Neos zu tun. Sie haben im bürgerlichen Lager gepunktet“, analysiert Politikwissenschaftler Peter Filzmaier. „Einen konsensualen Zusammenhang mit Mariahilfer Straße oder Parkpickerl sehe ich nicht – dafür gibt es keine Befunde.“

Ähnlich bewertet Politikexperte Thomas Hofer die Situation: „Der schwarze Einbruch erfolgte vor allem in Bezirken, wo die Neos mitten ins Fleisch der VP geschnitten haben. Mariahilfer Straße und Parkpickerl haben bestenfalls das Wachstum von Rot und Grün gebremst. Bei der VP haben eher die Schwächen auf Bundesebene durchgeschlagen. Dass eine Wiener Oppositionspartei auf Bundesebene abgestraft wird, kann ich mir nicht vorstellen.“

Mobilisierung gebremst

Dass die Grünen in Wien, im Gegensatz zum Bundesschnitt, leicht verloren, hänge ebenfalls mit den Neos zusammen, meinen sowohl Filzmaier als auch Hofer.

„Abgesehen davon haperte es offenbar bei der Mobilisierung der Wähler. Die Grünen haben es nicht geschafft, über ihre Kernschicht hinaus Leute anzusprechen“, erläutert Filzmaier.

Nach Hofers Ansicht kommen hier allerdings auch die Themen „Mariahilfer Straße“ und „Parkpickerl“ zum Tragen. „Eine geringere Steigerungsrate für die Grünen war zu erwarten“, sagt er. „Beide Themen waren im Wahlkampf Stimmungshemmer. Es gibt natürlich eine gewisse Unzufriedenheit mit den Grünen in der Stadtregierung.“

Bei den Grünen beurteilt man den Wahlausgang naturgemäß ein wenig anders. Thomas Blimlinger, der grüne Bezirksvorsteher von Neubau, hätte zwar mit größeren Verlusten in seinem Bezirk gerechnet. Mit den –1,09%, die zurzeit zu Buche stehen, kann er aber gut leben. „Ich bin mir sicher, dass die Wahlkarten das kompensieren werden. Dann haben wir gar nichts verloren.“

Euphorisch äußert sich auch die grüne Vizebürgermeisterin, Maria Vassilakou – sie interpretiert das Landesergebnis ihrer Partei trotz –0,6 Prozent in Wien als Bestätigung für ihre Verkehrspolitik. Es sei Zeit, „mit dem Wahlkampfmythos Mariahilfer Straße“ aufzuräumen. Im Anti-Parkpickerl-Bezirk Währing freut sie sich über den ersten Platz.

Alle Ergebnisse der Nationalratswahl 2013

Am Sonntagmorgen war Bürgermeister Michael Häupl noch gut gelaunt. „Ich habe ein gutes Gefühl“, sagte Häupl bei seiner Stimmabgabe. Aber genau werde man es erst nach der Wahl wissen. Er sollte recht behalten.

In einem Zelt neben dem Burgtheater hatte sich die rote Basis versammelt, um gemeinsam den Wahlausgang zu verfolgen. Als um 17 Uhr die erste Hochrechnung präsentiert wurde, ging ein Raunen durch die Menge. Nur 26,4 Prozent für die SPÖ. „Hoch wer ma’s nimmer gewinnen“, sagte ein Roter, andere schüttelten ungläubig den Kopf. Doch noch war die Hoffnung im Saal zu spüren, dass Wien das Steuer noch einmal rumreißen könnte. Es sollte nicht gelingen.

Die SPÖ sank in Wien auf einen historischen Tiefststand. 32,4 Prozent, um 2,4 Prozentpunkte weniger als noch 2008.

„Das ist kein Ergebnis, das mich rasend freudig stimmt.“Michael Häupl (SP)Wiener Bürgermeister„Ein Minus ist natürlich nicht gut, keine Frage“, sagte Häupl unmittelbar nach Bekanntwerden der ersten Ergebnisse. „Wir müssen jetzt die einzelnen Bezirke genau analysieren.“ Vielmehr müsste die SPÖ aber die niedrige Wahlbeteiligung analysieren. Nur 664.597 Wiener machten am Sonntag von ihrem Wahlrecht gebrauch, das sind 57,5 Prozent. 2008 waren es noch 63,2 Prozent.

Allerdings fehlen noch die Stimmen der Briefwähler. Für die SPÖ dürfte das aber nicht den großen Turnaround bringen. Traditionell gewinnen bei den Briefwählern die ÖVP und Grüne Stimmen dazu, weniger die Roten.

„Es ist uns nicht gelungen, alle Wähler zu mobilisieren“, sagte SP-Klubchef Rudi Schicker. Dazu habe es mit dem Team Stronach und den Neos zwei neue Mitbewerber gegeben. „Es ist klar, dass deren Zugewinne auf Kosten der etablierten Parteien gehen.“ Es war aber nicht alles schlecht: Insgesamt war das Wiener Ergebnis stark genug, um Bundeskanzler Werner Faymann den Wahlsieg zu retten. Auch hat man in den traditionellen Arbeiterbezirken den Abstand zur FPÖ wahren können.

Ernüchterung

Für die Wiener ÖVP ist das Ergebnis hingegen ernüchternd. War man mit dem Protest gegen das Parkpickerl und die neue Mariahilfer Straße lange präsent, fuhr man nun die größten Verluste ein. „Dass das kein grandioser Wahlsieg ist, ist klar“, sagte Parteichef Manfred Juraczka. Er schreibt das Minus den Neos zu, die eine ähnliche Wählerschicht bedienen.

Die FPÖ konnte in Wien zulegen, wenn auch nicht so stark wie in Restösterreich. Dennoch sprach Heinz-Christian Strache von einem „großen Schritt vorwärts“. Die Mariahilfer Straße sei ein Beispiel dafür, wie in Wien autoritär über die Bevölkerung „drübergefahren“ werde.

Für die Wiener Grünen blieb vorläufig ein kleines Minus, dafür gab es Teilerfolge. In Währing konnte man Platz eins erobern. Auch das große Minus wegen der Debatte um die Mariahilfer Straße blieb aus.

Die größte Überraschung lieferten aber die Neos. Sie kamen aus dem Stand auf 7,5 Prozent der Stimmen. In den meisten Innergürtelbezirken sogar auf mehr als zwölf Prozent. Für die ÖVP aber auch für die Grünen wächst hier eine neue, urbane Konkurrenz heran.

Alle Ergebnisse der Nationalratswahl

Dieses Ergebnis kann Wiens Bürgermeister Michael Häupl nicht schmecken. Ohne Wahlkarten haben in der Stadt noch 212.000 für die SPÖ votiert. Auch wenn sich die Sozialdemokraten darüber hinwegtrösten, dass das Wien-Ergebnis Bundeskanzler Werner Faymann bei der Regierungsbildung hilft, schaut ein Rückenwind für die Gemeinderatswahlen anders aus.

Denn die Stammwähler bröckeln weg. Das gilt auch für die Wiener ÖVP, die besonders in ihren Hochburgen, wie in Döbling, stark an die Neos verloren hat.

Die Regierungsbeteiligung hat sich für die Grünen in Wien nicht gerechnet. Das kleine Minus hängt aber weniger mit Stadtthemen, wie Mariahilfer Straße oder Parkpickerlerweiterung, sondern mehr mit dem bunteren Parteienspektrum zusammen. Ändert sich die politische Grundstimmung nicht, werden in zwei Jahren noch mehr Protestparteien im Gemeinderat sitzen.

Für die regierende Stadt-SPÖ ist diese Entwicklung auch eine Chance. Sie bekommt nach der Wien-Wahl 2015 möglicherweise neue Koalitions-Optionen.

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