Nach Massenschlägerei: Krisengespräche und neue Jugendarbeit

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Experten sagen, es fehlt der Kontakt zu tschetschenischen und afghanischen Communities.

Eine Massenschlägerei zwischen 50 Tschetschenen und Afghanen am Handelskai sorgt in Wien seit Tagen für Zündstoff.

Am Mittwoch finden gleich zwei Besprechungen als Folge der Massenschlägerei vom Samstag statt. Bezirksvorsteher Hannes Derfler (SPÖ) hat einerseits Experten aus der Jugendarbeit und in einer zweiten Sitzung auch Vertreter der Polizei eingeladen, weil er mehr Exekutiv-Beamte im Bezirk fordert.

Auch Adam Bisaev ist bei den Gesprächen dabei. Der gebürtige Tschetschene ist Gründer des Vereins "Toleranz" und sucht nach Möglichkeiten, um die Situation zu entspannen. "Es wäre zielführend, wenn sich die Jugendlichen aus Tschetschenien und Afghanistan mit Älteren zusammensetzen und miteinander kommunizieren."

Männliche Vorbilder sind auch in den Augen von Norbert Leonhardmair, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Wiener Zentrum für sozialwissenschaftliche Sicherheitsforschung, die einzige Lösung: "In der tschetschenischen Community haben die Älteren sehr viel Einfluss. Sie können intern schlichten."

Fehlende Vaterfiguren

Doch an männlichen Bezugspersonen fehlt es oft. "Fast die Hälfte der Jugendlichen in der tschetschenischen Community hat keine Väter", sagt Soziologe Kenan Güngör. Sie sind im Krieg gefallen. Und das wiederum ist ein massives Problem in der patriarchalischen Kultur. Ähnlich ergehe es den jungen Afghanen. "Deshalb brauchen wir Jugendarbeiter, die selbst afghanische oder tschetschenische Wurzeln haben."

Was die Jugendlichen eint, ist ihre Vergangenheit: Beide Gruppen wuchsen im Krieg auf. Ein Nebeneffekt: Bildung blieb ihnen oft verwehrt. "Dadurch haben sie keine Perspektiven, kein Geld und keine Tagesstruktur. In der Gesellschaft fühlen sie sich fremd", beschreibt Güngör. Wärme und Nähe erfahren sie nur in ihrer Clique. Die Solidarisierung untereinander ist stark ausgeprägt. "Wird einer beleidigt, werden alle beleidigt", erklärt der Soziologe.

So dürfte es auch vor dem Jugendzentrum in der Brigittenau gewesen sein. Dominanz und Machtdemonstrationen, spielen eine große Rolle, sagt Güngör. "Diese Jugendlichen haben kein Geld. Sie treffen sich in Parks oder auf der Straße – das ist ihr Raum. Kommen neue Gruppen, kommt es zu Revierkämpfen."

Rasche Lösungen zu finden, sei schwierig: "Wir wissen zu wenig über diese Gruppen. Wir brauchen dringend Vertrauenspersonen, die einen Kontakt in die Community aufbauen", rät Güngör. Dazu seien alle gefragt – Staat, Stadt und Polizei.

Mehr zum Thema lesen Sie am Mittwoch im KURIER.

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