Vierjährige abgeseilt: Mutter angeklagt, Tochter aufgetaucht
Die Staatsanwaltschaft Wien hat gegen eine 38-jährige Frau Anklage erhoben, die am 15. Februar ihre vierjährige Tochter mit zusammengeknoteten Bettlacken aus ihrer im zweiten Stock gelegenen Wohnung in Wien-Döbling abgeseilt haben soll, um das Mädchen der Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Wien (MA 11) zu entziehen.
Der Frau wird Gefährdung der körperlichen Sicherheit (§ 89 StGB) und Kindesentziehung (§ 195 StGB) vorgeworfen. Es gibt auch schon einen Prozesstermin.
Die Verhandlung gegen die dreifache Mutter findet bereits am 11. März statt, teilte das Landesgericht für Strafsachen Freitagmittag auf APA-Anfrage mit.
Mutter bereits vergangenes Jahr verurteilt
Nach jüngsten, gesicherten Informationen der APA wurde die 38-Jährige Ende September vom Landesgericht erstmals wegen Kindesentziehung verurteilt. Sie fasste eine Haftstrafe von neun Monaten aus, wobei ihr die Strafe unter Setzung einer Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Dessen ungeachtet übergab sie ihre Kinder weiterhin nicht der MA 11, der obsorgeberechtigten Behörde.
Schließlich wurde von der Polizei nach den vermissten Kindern gesucht. Mitte Februar wurden die 13-Jährige und der Elfjährige in einer Wohnung in Döbling angetroffen, die die Mutter erst geöffnet hatte, nachdem Wega-Beamte angedroht hatten, sich gewaltsam Zutritt zu verschaffen.
Nachdem von den drei Kindern der 38-Jährigen tagelang jede Spur gefehlt hatte, tauchte die 13-jährige Tochter am Donnerstag wieder auf. "Das Mädchen wurde in Begleitung ihres Vaters in der Lugner City angetroffen und in ein Krisenzentrum gebracht", sagte Ingrid Pöschmann, Sprecherin der Kinder- und Jugendhilfe (MA 11) auf KURIER-Anfrage.
Die beiden Geschwister sind nach wie vor abgängig. Die Kinder flüchteten nach einem Polizeieinsatz wegen des Verdachts der Kindesentziehung in Wien-Döbling. Die MA 11 appellierte an jene Menschen, die dem Buben und den beiden Mädchen Unterschlupf gewährt haben, mit den Behörden in Kontakt zu treten. Grund für den Einsatz war, dass die Mutter trotz vorläufigem Entzug des Sorgerechts seit sieben Monaten die Kinder in ihrer Obhut hatte.
Die MA 11 ist etwa seit 2011 mit der Familie in Kontakt. Der Grund war eine schwere Form der Vernachlässigung durch die 38-jährige Mutter, sagte Pöschmann. Die Kinder - mittlerweile 13, elf und vier Jahre alt - hatten aufgrund der Überforderung der Mutter keinen strukturierten Tagesablauf und kein kindgerechtes adäquates Zuhause gehabt.
So sei die Schule nur unregelmäßig besucht worden. Es habe laut Pöschman mehrere Gefährdungsanzeigen gegeben, zudem hätte sich auch die 38-Jährige an die Behörden gewandt, um Hilfe zu erhalten.
Daraufhin wurden der Frau im Juni 2023 die Kinder abgenommen, um sie in ein Krisenzentrum zu bringen. Das hätte die Mutter auch mitgetragen. Der Plan war, dass die Kinder sechs Wochen in diesem Krisenzentrum bleiben und dass mit Mutter und Kindern die bestehenden Probleme bestmöglich gelöst werden. Danach wurde überlegt, ob sie zur Mutter zurückkehren können oder ob für sie ein Platz in einer betreuten Wohngemeinschaft gesucht wird. „Es wurde schnell sichtbar, dass es zu Hause nicht mehr geht“, sagte Pöschmann. Die überlegten Schritte wurden von der Frau nicht umgesetzt und da sei sie auch recht schnell in den Widerstand gegangen.
Frau tauchte unter
Daraufhin tauchte die Frau mit der jüngsten Tochter unter. Die älteren Kinder wurden in eine Wohngemeinschaft überstellt, liefen aber recht bald weg und dürften zur Mutter gegangen sein. Immer wieder habe die MA 11 die 38-Jährige kontaktiert. Auch mit den Kindern wurde versucht, über die Schule eine Arbeitsbeziehung aufzubauen, die aber laut Pöschmann aufgrund des Loyalitätskonflikts gegenüber der Mutter nur „millimeterweit“ gelang. Wenn die Sozialarbeiterinnen bzw. Sozialarbeiter in die Bildungsstätte kamen, blieben die Kinder dann wieder tagelang der Schule fern. Ein Verfahren am Pflegschaftsgericht ist noch anhängig.
Mitte Februar klopfte die MA 11 dann wieder an die Wohnungstür der Frau, die erneut nicht öffnete. Auch eine Nachbarin, die mit der 38-Jährigen befreundet ist, konnte sie nicht zum Öffnen bewegen. Aus der Wohnung waren Kinderstimmen zu hören. Daraufhin wurde von der MA 11 um polizeiliche Assistenz gebeten, was laut Pöschmann nicht oft vorkomme.
Kinder auf der Flucht
Kurz bevor die Türe zwangsweise geöffnet wurde, ließ die Frau die Beamten eintreten. Die 13-Jährige war ebenso in der Wohnung. Von der Vierjährigen fehlte jede Spur.
Die Behörden gehen davon aus, dass die Frau ihr jüngstes Kind möglicherweise abgeseilt habe, aus dem Fenster im zweiten Stock hingen zusammengeknotete Leintücher. Nachdem die beiden älteren Geschwister von Mitarbeitern der Kinder- und Jugendhilfe in Obhut genommen wurden, um mit dem Taxi ins Krisenzentrum gebracht zu werden, rissen sich beide los und rannten davon, berichtete Pöschmann.
Die 38-Jährige befindet sich seit zwei Wochen in U-Haft. Ein an und für sich für heute, Freitag vorgesehener Haftprüfungstermin ist im Hinblick auf die bereits anberaumte Hauptverhandlung obsolet. Die Angeklagte bleibt zum Prozesstermin in Haft.
Bezüglich der drei Kinder wurde eine Fahndung eingeleitet. Von ihnen fehlt nach wie vor jede Spur. Pöschmann will die Menschen, die die Kinder nun in Obhut haben, motivieren, keine Angst zu haben und sich mit den Behörden in Verbindung zu setzen. Die Dreizehnjährige benötigt dringend einen operativen Eingriff, der seit Monaten notwendig ist.
Kommentare