Nach dem Terror: Ein echter Wiener geht nicht unter
Eine Künstlerin, der Dompfarrer, Geschäftsleute und eine Lokallegende über ihr Wien.
Mein Wien, mein Wien, das ist ...
... ein grantiger Wiener Kaffeehaus-Kellner, bei dem man sich nicht sicher sein kann, ob er Bestellungen überhaupt aufnimmt, der einem dann aber den besten Kaffee der Welt und himmlisch-buttrige Croissants auf den hübschen Kaffeehaustisch knallt.
... ein persischer Taxifahrer, der mir, während er für Wechselgeld in seiner Geldtasche rumkramt, in breitestem Wienerisch mit noch breiterem persischem Akzent erzählt „Isch bin komplett nega, kein Knedl in meine Geldborse“, um mir dann lachend sehr viele Münzen in die Hand zu drücken.
... ein Bundespräsident mit seiner „So sind wir nicht“-Erklärung zur Ibiza-Affäre.
... ein Picknick im Volksgarten an einem Sommerabend mit weißem Spritzer und leiwanden Leuten.
... eine lebendige Kunstszene, die kritischen Hirne und die humorvollen scharfen Zungen.
... eine alte Dame, die sich beim abendlichen Spaziergang mit ihrem eindeutig mehr als übergewichtigen Hunderl plagt, weil das Sackerl für’s Gackerl „zampickt, der Schas!“
... Osama Joda, ein junger Palästinenser, dem die goldene Ehrenmedaille für seine Unterstützung der Polizei in jener Terrornacht verliehen wurde und dessen Familie – welch Ironie des Schicksals – voriges Jahr ein Hauskauf in Weikendorf verunmöglicht wurde mit der bürgermeisterlichen Begründung, dass muslimische und westliche Werte nicht vereinbar wären.
... mein entzückender Hausmeister, der im Haus alles zusammensammelt, was nicht mehr gebraucht wird, um es an ärmere Menschen weiterzuschenken.
... ein impulsiver „Schleich di, du Oaschloch“-Fenster-Rufer, der uns allen aus der Wiener Seele ruft.
... unzählige mutige Wienerinnen und Wiener, die sich in der Terrornacht gegenseitig Schutz und Trost gespendet haben, voller Mitgefühl und Zusammenhalt, mit einer friedlichen Zukunftsvision im Herzen ...
... DAS ist mein Wien!
Nadja Maleh, Kabarettistin
Wiener Friedenszeichen in bewegten Zeiten
Der 2. November wird uns Wienern ins Gedächtnis eingehen wie 9/11. Wir alle wissen, was wir beim Eintreffen der schrecklichen Terror-Nachrichten aus der Innenstadt gemacht haben. Nach den abendlichen Gottesdiensten im Dom, bei denen wir für die Verstorbenen des vergangenen Jahres gebetet haben, war ich vor dem Lockdown noch mit Freunden in einem Lokal der Innenstadt in der Nähe der Seitenstettengasse beisammen. Plötzlich ungewöhnliche Geräusche. Eine Frau berichtete entsetzt von Schüssen in der Nähe. Die bald vorbeirasenden Polizeiautos mit Blaulicht und Folgetonhorn untermauerten ihre Beobachtungen. Ich kämpfte mich vorsichtig zum Dom vor und veranlasste dessen Räumung und Schließung. Nachher versicherte ich mich persönlich auf der befreundeten Polizeiwachstube auf der Brandstätte. Ja, es war ein Attentat. Der Terror hat also auch Wien nicht verschont. Der Attentäter und all seine gewaltbereiten Unterstützer aus dem Milieu des politischen fanatischen Islam verdienen eine hundertprozentige Verurteilung. Schon in der Nacht war klar, wie sehr nicht nur der Staat, sondern auch die Religionsgemeinschaften gefordert sind.
Am nächsten Tag um die Mittagsstunde eine Schweigeminute mit dem Läuten aller Kirchenglocken und der Pummerin. Innehalten, um abends einen Trauergottesdienst mit Staatsspitze und Vertretern aller Religionen der Wut und dem Ohnmachtsgefühl einen anderen Kanal zu geben. „Unseren Hass bekommt ihr nicht!“ rief Kardinal Schönborn die Worte eines Mannes, dessen Frau bei Anschlägen in Paris getötet wurde, in Erinnerung. Friedenszeichen hier und da – Zeichen für ein offenes Wien, das sich nicht fürchtet, sondern zusammenhält.
Unsere Entscheidung angesichts des Terrors kann nur heißen: Wie kann ich aus der Liebe heraus für das Geschenk meines Lebens danken? Und dann daraus auch ein Geschenk für meine Nächsten machen. Ein Geschenk des Friedens für die ganze Gesellschaft, das uns selber stärkt und Mut macht.
Toni Faber, Dompfarrer zu St. Stephan
Ich kann mir keine andere Stadt als Wien vorstellen
Ich bin in der Welt herumgekommen, aber ich kann mir keine andere Stadt als Wien vorstellen, in der ich leben möchte. Ich habe Wien immer als weltoffene Stadt wahrgenommen, und dieses Bild kann auch nicht von politisch oder religiös verblendeten Menschen zerstört werden. Ich genieße diesen schmalen Grat zwischen „Grant und Charme“ – denn genau das ist Wien für mich und wird es immer bleiben. Wo sonst findet sich eine derart fantastische Mischung aus Kultur, Geschichte und großartiger zeitgenössischer Kunst? Und wo sonst gibt es eine derartige Kaffeehaushauskultur – und – an dieser Stelle erlaube ich mir, Elfriede Jelinek zu zitieren: „Wer das Korb nicht kennt – kennt Wien nicht“
Susanne Widl, Inhaberin des Café Korb
Die ganze Welt beneidet uns um diese Stadt
In der Terrornacht waren meine Frau und ich in einem Innenstadtlokal. Die Polizei hat höchst professionell und sehr hilfsbereit agiert. Fühle ich mich jetzt noch sicher? Ja klar. Ich lebe in Wien seit meiner Geburt. Wien ist meine Stadt. Ich komme geschäftlich viel herum. Im Iran, in Pakistan, in Indien. Überall beneiden sie uns um diese Stadt. Sogar in Deutschland. Weil wir in einer Stadt leben, die viele Dinge bietet, die weltweit nicht selbstverständlich sind. Das Gesundheitssystem, die Infrastruktur, die Kultur, die ganze Kulinarik. Außerdem ist Wien eine Stadt der Gärten und Parks. Der Anschlag war furchtbar. Ich bin in Gedanken oft bei den Opfern. Aber ich lasse mir deshalb mein Wien nicht nehmen.
Ali Rahimi, Unternehmer
Schauen wir in die Sonne, dann haben wir den Schatten hinter uns
Als Wiener Traditionsunternehmen, das immerhin 300 Jahre bewegte Vergangenheit hinter sich hat, war der Terroranschlag am Montag ein großer Schock.
In unserer 60-jährigen Geschäftszeit hatten wir auch mit Katastrophen wie dem Brand des Geschäftes und einem Hochwasser einige Schicksalsschläge, die wir jedoch den Umständen entsprechend, mit viel Energie und Fleiß gut überstanden haben.
Die Welt hat sich verändert, der Terror – so kommt es einem vor – ist die neue Form des Krieges. Dennoch sind wir guten Mutes und optimistisch.
Unser großes Mitgefühl gilt den Toten und den Angehörigen sowie den Verletzten. Wir hoffen, dass die Zukunft mehr Frieden und Respekt zwischen den verschiedenen Religionen und Völkern bringt. Allerdings könnten wir auch einiges dazu beitragen, in dem wir mehr Verständnis für die Differenz unserer Lebensformen und Glaubensbekenntnisse haben.
Wir haben den Mut, für uns und unsere Nachfahren weiterzumachen.
Schauen wir in die Sonne, dann haben wir den Schatten hinter uns.
Hanni Vanicek, Geschäftsfrau "Zur Schwäbischen Jungfrau"
Ich möcht’ nirgendwo anders als in Wien sein
Institution. Ich stehe seit 58 Jahren jeden Tag im Geschäft. Nur am vergangenen Dienstag, nach dem Anschlag, da hab’ ich nicht aufsperren dürfen. Ich wollte ja am Montag eigentlich länger bleiben und Buchhaltung machen, aber der Nachbar hat mich dann mitgenommen. Das hat mich wahrscheinlich gerettet. Es ist furchtbar, was da geschehen ist. Aber wir haben schon anderes gesehen. Ich erinnere mich an den Anschlag auf die Synagoge oder die Schießerei beim Figlmüller. Das ist alles passiert, aber Wien ist immer Wien geblieben. Ich möcht’ auch gar nirgendwo sonst sein. Egal, was passiert: Mein Wien lässt sich nicht unterkriegen. Nur eines wäre wichtig: Dass man die kleinen Geschäfte leben lässt.
Maria Witek, Parfümerie Köllnerhofgasse 2
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