Mutter von Josef S. fordert Entschuldigung

Für Josef S. gab es in Wien einen Schuldspruch.
Umfrage zum Urteil - weiterer Demonstrant am 18. August vor Gericht.

Staatsanwalt Leopold Bien wählte in seinem Schlussplädoyer im Landesgericht Wien starke Worte: „Die Durchführung politischer Ziele mit Gewalt hat einen Namen: Terrorismus!“ Was bei vielen Zuhörern Empörung hervorrief. Und auch die persönliche Meinung des Staatsanwaltes über Josef S. war wenig schmeichelhaft. „Ich persönlich halte es für feige, zu schweigen.“

Mutter von Josef S. fordert Entschuldigung
Akademikerball-Demonstrant Josef S. wurde in erster Instanz zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt.
Am Dienstag wurde im Prozess rund um eine außer Kontrolle geratene Demonstration gegen den Akademikerball im vergangenen Jänner das Urteil gesprochen. Josef S., der schweigsame 23-jährige Student aus Jena, wurde zu zwölf Monaten Haft verurteilt, vier davon unbedingt. Er wurde wegen Landfriedensbruchs, versuchter schwerer Körperverletzung und schwerer Sachbeschädigung schuldig gesprochen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Nachdem S. fast sechs Monate in U-Haft gesessen war, konnte er noch am Abend nach dem Prozess nach Hause gehen.

Mutter von Josef S. verlangt Entschuldigung

Die Mutter von Josef S. hat nach der Verhandlung eine öffentliche Entschuldigung des Staatsanwalts verlangt. Dieser hatte ihren Sohn in seinem Schlussvortrag der Feigheit bezichtigt und in die Nähe zum Terrorismus gerückt.

Diese Wortwahl sei "diffamierend" und habe sie "erschüttert", sagte die aus Deutschland angereiste Frau. Sie und ihr Mann hätten damit gerechnet, dass ihr Sohn nicht freigesprochen wird, "weil das ganze Verfahren hindurch klar war, dass der Aussage des Belastungszeugen Glauben geschenkt wird".

Bei der Urteilsverkündung sei ihr schlecht geworden, gestand die Mutter ein: "Ich versuche, mich jetzt erst mal körperlich aufrecht zu halten. Aber ich bin glücklich, wenn ich ihn (ihren Sohn, Anm.) sehe."

Dieser Wunsch erfüllte sich rund 30 Minuten nach Schluss der Verhandlung, als sich für den 23-Jährigen nach fast sechsmonatiger U-Haft die Gefängnistore öffneten. Ein Taxi, in dem auch seine Mutter und sein Verteidiger Clemens Lahner saßen, chauffierte den Studenten in die Freiheit.

Lachendes und weinendes Auge

Seine Anwälte sehen das Urteil „mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, wie sie Dienstagabend vor versammelter Presse erklärten. Lahner kann die Begründung des Gerichts nicht „ganz nachvollziehen“, ist aber froh, dass Josef S. „aus dem Knast raus ist“. Lahner und die zweite Verteidigerin Kristin Pietrzyk sind sich einig, „dass sich die Staatsanwaltschaft nicht besonders ins Zeug gelegt hat, den Sachverhalt aufzuklären“.

Denn das Bild, das diese von dem 23-Jährigen gezeichnet hatte, war kein schönes. Josef S. soll maßgeblich an den Randalen in der Innenstadt beteiligt gewesen sein. Und zwar als Rädelsführer, der seinen Mitdemonstranten Anweisungen zurief, Mistkübel schmiss oder rollte, so genau war das nicht mehr feststellbar, Scheiben einschlug und Böller in einen Polizeiwagen schmiss. Doch: Bilder oder Videos davon gibt es nicht. Nur ein Foto, das S. mit einem Mistkübel zeigt. („Weil er ihn aufgehoben hat“, sagte Verteidiger Lahner.) Und einen verdeckten Polizisten, der den Fall ins Rollen und Josef S. mit seiner Aussage in U-Haft brachte. Allerdings, so wurde im Lauf des Prozesses bekannt, war er selbst bei der Demo kurzfristig von Kollegen festgenommen worden.

Schweigen gebrochen

Mutter von Josef S. fordert Entschuldigung
APA19496384-2_22072014 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA0484 VOM 22.07.2014 - (v.r.n.l.) Co-Verteidigerin Kristin Pietrzyk und Verteidiger Clemens Lahner während einer Pressekonferenz am Dienstag, 22. Juli 2014, anlässlich des Akademikerball Prozesses, in Wien. Der deutsche Demonstrant Josef S., der seit Jänner in U-Haft sitzt, wurde vom Wiener Straflandesgericht im Sinn der Anklage zu einem Jahr teilbedingter Haft schuldig gesprochen. Er wurde wegen Landfriedensbruchs, versuchter schwerer Körperverletzung und schwerer Sachbeschädigung verurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. FOTO: APA/HANS KLAUS TECHT
Josef S. selbst brach am letzten Verhandlungstag nur kurz sein Schweigen. „Ich war bei der Demo. Ich habe den Mistkübel aufgestellt. Und ich bin den Leuten gefolgt, die weggerannt sind – weil ich mich hier nicht auskenne.“ Schlusssatz: „Ich bin Linkshänder.“ Das betonte er, da nur an seinem rechten Handschuh kleinste Partikel von Pyrotechnik gefunden wurden.

„Bei einer Verurteilung mit so einer Beweislage wird jede Person in Angst und Schrecken versetzt, die auf eine Demo gehen möchte“, hielt Co-Verteidigerin Kristin Pietrzyk fest. Staatsanwalt Bien sah das naturgemäß anders: Er forderte aus generalpräventiven Gründen eine teilbedingte Haftstrafe. „Um das Unrecht vor Augen zu führen.“

Kritik

Nach dem Urteil wurden viele kritische Stimmen laut. Neben ÖH und Sozialistischer Jugend zeigte sich SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim „gelinde verwundert“ über den Ausgang des Prozesses. Er forderte wie die Grünen eine Diskussion über die Anwendung des Paragrafen des Landfriedensbruches. Prozessbeobachter Henning Homann, der für die SPD im Sächsischen Landtag sitzt, sah die Beweise der Verteidigung zu wenig gewürdigt und meinte gar: „Die deutsche Justiz ist in der Regel in der Lage, zwischen friedlichen und gewaltbereiten Demonstranten zu unterscheiden.“ Michael Genner, Obmann von „Asyl in Not“ und einer der vielen Unterstützer von Josef S., fürchtet, dass „weitere derartige Urteile in Zukunft nicht auszuschließen“ sind. FPÖ- und ÖVP-Politiker sahen hingegen die Rechtsstaatlichkeit bestätigt.

Die Verteidigung hat nun drei Tage Zeit, um zu überlegen, ob sie das Urteil annimmt.

Nach dem 23-jährigen deutschen Studenten aus Jena, der am Dienstag im Straflandesgericht wegen Landfriedensbruchs nicht rechtskräftig zu einem Jahr teilbedingter Haft verurteilt wurde, muss ein weiterer Teilnehmer der Gegendemonstration gegen den Wiener Akademikerball vom Jänner 2014 vor Gericht. Die Verhandlung gegen einen 43-jährigen Mann mit türkischen Wurzeln findet am 18. August statt.

Der Angeklagte befindet sich laut Gerichtssprecher Thomas Spreitzer seit Juni in U-Haft. Er soll am 24. Jänner an einer Kundgebung gegen den Akademikerball teilgenommen haben und in die Ausschreitungen in der Wiener Innenstadt verwickelt gewesen sein, als Demonstranten gegen Polizeikräfte losgingen, Auslagenscheiben eingeschlagen und die Polizeiinspektion Am Hof beschädigt wurde. Die Staatsanwaltschaft unterstellt ihm, sich wissentlich an der Zusammenrottung einer größeren Menschenmenge beteiligt zu haben, die gezielt auf Körperverletzungen und Sachbeschädigungen ausgerichtet war, womit der Mann den Tatbestand des Landfriedensbruchs erfüllt haben soll.

Gar in führender Funktion soll der Angeklagte vier Monate später neuerlich bei einer Demonstration gewalttätig in Erscheinung getreten sein. Am 17. Mai fand eine Gegenkundgebung der "Offensive gegen Rechts" gegen einen Aufmarsch der rechten "Identitären" statt. Dabei kam es zu Zusammenstößen zwischen linken Manifestanten und der Polizei. Laut Anklage soll der 43-Jährige dabei andere Demonstranten dazu aufgestachelt haben, gegen die Uniformierten vorzugehen.

Er wurde schließlich im Juni auf Basis eines Haftbefehls in der Bundeshauptstadt festgenommen. Dabei soll er sich zur Wehr gesetzt haben, weshalb ihm zu guter Letzt auch Widerstand gegen die Staatsgewalt angekreidet wird.

Als "gelinde verwundert" über den Ausgang des Prozesses von Josef S. zeigte sich SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim. "Bezeichnend am gegenständlichen Verfahren ist, dass sogar das gegenständliche Urteil eine unbedingte Haftstrafe im Ausmaß von vier Monaten als gerechtfertigt erkannt hat, währenddessen sich Josef S. bereits seit fast sechs Monaten trotz heftiger Hinweise aus der einschlägigen Fachwelt in Haft befindet. Abgesehen davon wird selbstverständlich abzuwarten sein, was die Berufungsinstanz zu diesem nicht rechtskräftigen Urteil ausführen wird", so Jarolim in einer Aussendung.

Einmal mehr verweist der SPÖ-Justizsprecher darauf, dass das Heranziehen des Tatbestandes des Landefriedensbruchs für den gegenständlichen Vorfall aus seiner Sicht nicht der Intention der Norm entspricht. "Unabhängig vom Ausgang des Berufungsverfahrens ist offenkundig, dass die politische Diskussion über die Anwendung dieser Norm als Auffangtatbestand zu führen ist", so Jarolim.

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