Muslime verteilten Schnitten statt Korane
"Warum tragen Sie ein Kopftuch?", "Wieso fasten Sie im Ramadan?" oder "Können Sie sich vorstellen, in einer Demokratie zu leben – oder gilt für Sie nur die Scharia?". Fragen wie diese hört Selime Türe oft. Im besten Fall. Es kommt aber auch vor, dass die junge, eloquente Wienerin mit türkischen Wurzeln von Passanten als "Islamistin" beschimpft wird, weil sie einen Hijab trägt. Provokationen, auf die sie ebenso gelassen zu reagieren hat, wie die anderen rund 40 Mitglieder der "Islamischen Föderation Wien" (IFW), die sich am Samstag an der dritten "Gestatten, Muslim"-Straßenaktion beteiligten.
An neun Standorten in ganz Wien – allesamt viel frequentierte Örtlichkeiten – stellte man sich den Fragen der Passanten, "um Berührungsängste und Vorurteile abzubauen", wie die IFW vorab angekündigt hatte. Um der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit entgegenzuwirken, gehe man aktiv auf die Menschen zu, erklärt Sprecher Harun Erciyas. "Durchs Reden kommen d’ Leut’ zamm."
Darum gehe es, und um nichts anderes. Auf keinen Fall wolle man jemanden bekehren oder mit Koranverteilern verwechselt werden. Das bestätigt ein KURIER-Lokalaugenschein Samstagmittag auf der Mariahilfer Straße.
Zustimmung überwiegt
Dort stehen Selime Türe und ihr Team. "Am meisten werden wir wegen der Kopftücher gefragt, oder eben über unsere Meinung zu politischen Themen", erzählt sie.
Nach und nach kommen immer mehr Interessierte zum Info-Stand. "Ich finde das sehr wichtig und wirklich toll, dass sie von sich aus das Gespräch suchen. Solche Aktionen sollte es öfter geben", meint Birgit Radl-Wanko, die sogar einen Newsletter des IFW anfordert.
Aber auch innerhalb der islamischen Community stößt die Aktion auf Gegenliebe: "Ich bin selbst Muslima. In den Medien gibt es immer nur ,die Muslime’ und dadurch werden alle in einen Topf geworfen. Aber wir sind alle unterschiedlich und auf keinen Fall alle radikal. Ich befürworte diese Aktion sehr", sagt Frau Narges.
Natürlich müssen sich die jungen Aktivisten nicht nur positive Reaktionen gefallen lassen. Aber: "Es hält sich in Grenzen. Meistens sind es nur blöde Kommentare von Leuten, die vorbeigehen. Da es hier ein sehr belebter, öffentlicher Ort ist, trauen sich Kritiker aber nicht wirklich, ihre Meinung laut zu sagen", sagt Türe.
Korane werden tatsächlich keine verteilt – dafür aber Manner-Schnitten.
Millî Görüs
Für Interessierte, die es nicht wissen, ist aus einer kleinen Broschüre ersichtlich, dass die Islamische Föderation zur Gemeinschaft der Millî Görüs (Nationale Sicht) gehört. Das (inhaltlich unbedenkliche) Info-Material stamme zum Teil aus Deutschland, erklärt Erciyas. Was durchaus kritisch gesehen werden darf.
Stand die konservative islamische Bewegung dort doch lang wegen antisemitischer und antidemokratischer Tendenzen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Das bestreitet Erciyas auch nicht. Es habe aber einen Kurswechsel gegeben, "mittlerweile ist man dort in Europa angekommen". Von der türkischen Politik habe man sich in Österreich abgekoppelt. Zudem sei man multikulturell.
In Wien kam die Islamische Föderation, die mit 10.800 Mitgliedern der zweitgrößte Moschee-Verband nach Atib ist, vor allem mit der Simmeringer "Imam-Schule" in die Schlagzeilen. Der ehemalige Vorstand machte sich keine Freunde, weil man ursprünglich ein Kulturzentrum zur Bewilligung eingereicht hatte, tatsächlich aber ein theologisches Gymnasium mit Unterricht in Türkisch plante. Erst als der ehemalige SPÖ-Bezirksrat Mehmet Arslan den Vorsitz übernahm, wurde aktiv der Dialog mit Politik und Behörden gesucht.
"Wir haben aus unseren Fehlern gelernt", sagt Erciyas. Zurzeit liege das Projekt aus administrativen sowie finanziellen Gründen – für die Fertigstellung fehlen "300.000 bis 500.000 Euro" – zwar auf Eis. Sobald es Neuigkeiten gebe, trete man aber mit dem Bezirk in Kontakt. Was aus dem Gebäude wird, sei noch nicht fix. "Möglich sind eine Volkshochschule, eine Volksschule, ein Kindergarten oder eine Seelsorgerschule. Auf jeden Fall aber zweisprachig."
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