Misshandlungsvorwürfe: Polizeigewalt nur "zum Schutz"

In der Silvesternacht wurde Wienerin von zwölf Beamten bearbeitet, Einsatz ist zum Teil auf Video (li.)
Zwölf Beamte stürzten sich in Silvesternacht auf Wienerin, um Gefährdung zu verhindern.

Die Wiener Polizei, die in den vergangenen Monaten vermehrt Misshandlungsvorwürfen ausgesetzt ist, besinnt sich auf einmal ihrer beinahe vergessenen Rolle als "Freund und Helfer". Geholfen soll ihr damit hauptsächlich selbst werden.

In der Silvesternacht war eine angeheiterte Wiener Unternehmerin bei einer Tankstelle vor laufender Überwachungskamera von zwölf Polizisten bearbeitet worden - der KURIER hat berichtet. Die 47-Jährige erlitt einen Steißbeinbruch. Nachdem ihr Anwalt Wilfried Embacher Beschwerde gegen die "rechtswidrige Amtshandlung" beim Verwaltungsgericht eingebracht hat, entgegnet die belangte Landespolizeidirektion, man habe die Wienerin doch nur vor einem Unglück bewahren wollen. Deshalb habe man sie – zwölf Mann hoch – quasi zur Seite genommen: "Überdies waren die Beamten auch zum Schutz der Beschwerdeführerin verpflichtet, die ihre mögliche Gefährdung durch die Tankstelle frequentierende Kfz offenkundig nicht ausreichend einschätzen konnte."

Ausgelöst wurde die eskalierte Amtshandlung dadurch, dass die zu Silvester angeheiterte Fußgängerin zum Alkotest aufgefordert wurde und diesen verweigerte. Daraufhin wurde sie geschubst, zu Boden gebracht, wahrscheinlich misshandelt und unter Anlegen von Hand- und Fußfesseln festgenommen. Weil sich die Frau dagegen gewehrt haben soll, wollte die Staatsanwaltschaft zuerst sie vor Gericht bringen, machte nach Medienberichten aber einen Rückzieher und bedauerte das "vorschnelle" Vorgehen.

Der Grüne Sicherheitssprecher Peter Pilz nahm diesen und eine ganze Liste anderer Vorfälle zum Anlass für eine parlamentarische Anfrage an Innenministerin Johanna Mikl-Leitner: "Polizei und Justiz sind derzeit offenbar kaum in der Lage, Fälle von Polizeigewalt aufzuklären und gegen die verdächtigen Beamten vorzugehen. Stattdessen ist es nach wie vor gängige Praxis, dass die Opfer im Gegenzug mit Anklagen wegen Verleumdung und Widerstand gegen die Staatsgewalt verfolgt werden."

Nackt ausziehen

Misshandlungsvorwürfe: Polizeigewalt nur "zum Schutz"
polizeiprügelopfer
2013 gab es in 546 bei der Staatsanwaltschaft anhängigen Fällen von Verletzungen nach Amtshandlungen nur vier Anklagen und zwei Schuldsprüche, 2014 waren es 250 Anzeigen mit einer Anklage und keiner Verurteilung. Pilz fordert die Umsetzung der UNO-Konvention und der Europaratsempfehlung, eine eigene (von der Polizei losgelöste) unabhängige Einheit zur Verfolgung von Misshandlungsvorwürfen zu schaffen. Und er will aufgelistet haben, in welchen Polizeiinspektionen wie viele Personen für wie lange festgenommen und gezwungen wurden, sich nackt auszuziehen und wie oft ein Amtsarzt beigezogen wurde.

Im Fall der Unternehmerin wurden die strafrechtlichen Ermittlungen gegen zwölf Polizeibeamte mit Verspätung an die Staatsanwaltschaft Eisenstadt delegiert. Bisher hat man das Video ausgewertet, wobei sich erste Widersprüche zum Polizeiprotokoll ergaben. Jetzt werden die Beamten befragt.

Absprachen

Auch bei einem anderen mutmaßlichen Polizeiübergriff zeigen Exekutive und Anklagebehörde keine Eile, die Vorwürfe aufzuklären. Über ein halbes Jahr nach dem Freispruch für das Opfer (siehe Zusatzbericht) kommt langsam das Verfahren gegen die Beamten in Gang. Dabei hatte die Richterin den Freispruch damit begründet, dass die Beamten sich offensichtlich abgesprochen hatten, also falsch ausgesagt haben könnten.

Das Drama nahm in einem Bordell in Wien-Fünfhaus seinen Ausgang: Enes Beganovic wurde die Brieftasche mit 2500 Euro gestohlen, als er gerade ... abgelenkt war. Der 34-Jährige alarmierte die Polizei. Nach seiner Einvernahme als Diebstahlsopfer landete er, wie berichtet, mit Kieferbruch im Spital.

Weil die Beamten den in Wien geborenen und aufgewachsenen Bauleiter „als Jugo“ behandelten und er sich daraufhin zu einer ordinären Beschimpfung hinreißen ließ, „haben mich sechs Beamte zu Boden geschleudert und saßen auf meiner Brust. Ich wäre fast erstickt“ (Beganovic im KURIER-Gespräch).

Hinterher behaupteten die Polizisten, der 34-Jährige habe sich am Türrahmen gestoßen, was der Gerichtsmediziner Christian Reiter allerdings widerlegte: In dem Fall wären nicht der Kiefer, sondern das Nasen- oder Jochbein zu Bruch gegangen. Anwalt Karl Bernhauser brachte für Beganovic Amtshaftungsklage ein und fordert 15.000 Euro Schmerzensgeld.

Im September vorigen Jahres war Beganovic vom Vorwurf, er habe die Beamten verletzt, freigesprochen worden. Richterin Elisabeth Reich fiel auf, dass sich die Polizisten „in massive Widersprüche verstrickten, lediglich den Angriff als solchen nahezu wortgleich schilderten, wodurch der Eindruck einer Absprache entstand.“
Die Staatsanwaltschaft ging daraufhin nicht – wie es zu erwarten gewesen wäre – von sich aus gegen die Beamten vor, es blieb Anwalt Bernhauser vorbehalten, Anzeige zu erstatten. Acht Monate später wurde nun endlich Beganovic als Zeuge einvernommen und schilderte, wie er Blut gespuckt habe und „ein Polizist einen Kübel brachte, in den ich hineinspucken konnte.“

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