Mein Mitbewohner, der Präsident: Wohnen in der Hofburg

Frau Nowak steht am Fenster. Die Arme auf ihren kleinen Polster gestützt, die Fersen angehoben. Schließlich will sie etwas sehen, wenn sie in der Früh in den Hof schaut.
Der Hof, auf den Frau Nowak blickt, ist nicht irgendein Hof. Es ist der Innere Burghof der Wiener Hofburg. Jener Hof, in dem das Denkmal steht, das Kaiser Ferdinand I. (1793 bis 1875) zu Ehren seines Vaters Kaiser Franz II. errichten ließ.

Kleine Fenster, dicke Mauern: Vom Wohnzimmer aus blickt Monika Nowak in den Inneren Burghof und hinüber zum Leopoldinischen Trakt
Frau Nowak, Jahrgang 1940, wohnt in der Hofburg – seit 62 Jahren. Und wenn Alexander Van der Bellen am Donnerstag zum zweiten Mal als Bundespräsident angelobt wird, bekommt sie – quasi – einen neuen, alten Mitbewohner. Er ist der siebente Bundespräsident, mit dem Frau Nowak unter einem Dach wohnt: Vor Van der Bellen waren es Adolf Schärf (Bundespräsident von 1957 bis 1965), Franz Jonas (1965 bis 1974), Rudolf Kirchschläger (1974 bis 1986), Kurt Waldheim (1986 bis 1992), Thomas Klestil (1992 bis 2004) und Heinz Fischer (2004 bis 2016). Allerdings nur theoretisch, denn praktisch hat noch nie ein Bundespräsident während seiner Amtszeit in der Hofburg gewohnt. So weit, so bekannt.
Das Areal
Die Hofburg hat eine Fläche von 300.407 Quadratmetern. Zu ihr gehören neun öffentliche Einrichtungen, 5.000 Menschen arbeiten dort
Die Geschichte
Die Baugeschichte der Hofburg beginnt in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Ältester Teil ist der Schweizerhof
18 Trakte
Die Hofburg ist in 18 Trakte unterteilt und hat 2.600 Räume. Der Leopoldinische Trakt ist seit Beginn der Zweiten Republik Amtssitz des Bundespräsidenten
Kaum bekannt ist allerdings: Es gibt tatsächlich etliche Wohnungen in der Hofburg – und darin wohnen ganz normale Menschen.
Laut Auskunft der Burghauptmannschaft leben derzeit 50 Personen in den 45 Hofburg-Wohnungen. Diese sind zwischen 32 und 176 Quadratmeter groß, die Mieten orientieren sich am Immobilienpreisspiegel und werden diesem angepasst. Genaueres will man nicht verraten.
Sehr normal
Wer aber jetzt an stuckverzierte Decken und Tapetentüren denkt, wird womöglich etwas enttäuscht sein. Wohnen in der Hofburg ist normaler, als man annehmen möchte. Es gibt einen Müll- und einen Fahrradabstellraum. Und wie in den meisten Wohnhäusern ist es auch in der Hofburg nicht gern gesehen, wenn Mieterinnen und Mieterin etwas auf dem Gang stehen lassen. Der Hofburg-Brand, man erinnere sich.

Die Küche ist aus den 60ern – und wäre heute ein Vintage-Schatz
Frau Nowak wohnt in einer knapp 100-Quadratmeter großen Drei-Zimmer-Wohnung im 3. Stock des Reichskanzleitraktes. Es ist ihre dritte Wohnung in der Hofburg. Eingezogen ist sie zu Weihnachten 1960, gemeinsam mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann und hochschwanger mit dem ersten Kind. Diese erste Wohnung lag bei der sogenannten Zuckerbäckerstiege im Leopoldinischen Trakt, also dort, wo der Bundespräsident residiert. 119 Stufen über eine Wendeltreppe hinauf, 119 Stufen hinunter, erzählt Monika Nowak. „Jung waren wir, ich werde das nie vergessen.“
Damals gab es in der Hofburg noch die sogenannte „Hofpartie“, eine Gruppe von Handwerkern, die bei der Burghauptmannschaft beschäftigt war. Tischler, Maurer, Elektriker. Auch Frau Nowaks Mann, damals Gebäudeverwalter der Hofburg, war ab 1948 Teil der Hofpartie. Die meisten ihrer Mitglieder wohnten in Dienstwohnungen in der Hofburg. Bis in die 80er-Jahre war man eine eingeschworene Hausgemeinschaft. In der Zwischenzeit ist Monika Nowak bis auf eine andere ältere Frau die einzige Alt-Mieterin.

In der Hofburg zu wohnen ist aber naturgemäß nicht ausschließlich normal. Allein schon, was die Adresse betrifft. Im Fall von Frau Nowak: Hofburg, Reichskanzleitrakt, 3. Stock.
Sehr außergewöhnlich
Das kommt so selten vor, dass man sie einst beim Ansuchen um einen Kuraufenthalt nicht nach dem Grund für einen solchen fragte, sondern sich vor allem dafür interessierte, warum sie in der Hofburg wohnt.
Auch Frau Nowaks Türschild auf der Gegensprechanlage zu finden, ist eine Aufgabe für sich. Wer den Hausbrauch nicht kennt, muss sich zunächst einmal den Weg durch die Touristinnen und Touristen bahnen: Die Gegensprechanlage befindet sich beim Eingang zum Sisi-Museum. Und dann muss man noch mit dem Lift in den richtigen Stock und mit dem richtigen Code bei der richtigen Tür hinein.
Frau Nowak stört das nicht: „Wenn ich da hinunter gehe und mich durcharbeite, denke ich mir: Wer weiß, wem ich auf Reisen nicht schon im Weg gestanden bin.“ Umgekehrt sei es oft anstrengender: Die Touristen glauben mitunter, Frau Nowak dränge sich vor.

Hereinspaziert: Frau Nowak wohnt im Reichskanzleitrakt
Mit dem Rummel an ihrer Adresse kommt Frau Nowak jedenfalls gut zurecht, an die Vorkehrungen bei Staatsbesuchen hat sie sich gewöhnt. Nur einmal, als die Herren Kennedy und Chruschtschow wegen eines Gipfeltreffens zum Kalten Krieg in Wien weilten und die Hofburg „hermetisch abgeriegelt“ gewesen sei, seien die Nowaks nach dem Urlaub fast nicht zu ihrer Wohnung gekommen. Weil der Taxler, der sie nach Hause brachte, keinen Passierschein hatte, mussten die Nowaks ihre Koffer über den Heldenplatz tragen. Über ihnen auf der Neuen Burg positioniert: bewaffnete Sicherheitskräfte der Russen und Amerikaner. Ihrem Mann habe sie daraufhin befohlen, ihre Koffer „ja nicht abzustellen. Die wussten ja nicht, dass wir da wohnen“.
Mit Alexander Van der Bellens Wahlerfolg im Oktober ist Frau Nowak zufrieden. „Ich mag den Herrn ganz gern.“ Zumal sie jüngst eine Brieffreundschaft mit seinem Büro anknüpfte. Ein helles Licht in der Präsidentschaftskanzlei habe sie sehr gestört, da habe sie einen Brief mit der Bitte um Erledigung verfasst. Unterzeichnet: Mit lieben Grüßen, Monika Nowak, eine Mitbewohnerin.
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