Mann vor U3 gestoßen: Täter wird eingewiesen
Mit einem 20-Jährigen, der am 8. Mai 2019 am Wiener Westbahnhof einen Lagerarbeiter vor die einfahrende U-Bahn gestoßen hat, hat sich am Montag ein Schwurgericht am Landesgericht für Strafsachen auseinandergesetzt. Der Mann kann nicht wegen versuchten Mordes zur Verantwortung gezogen werden - aufgrund einer paranoiden Schizophrenie ist er zurechnungsunfähig und damit nicht schuldfähig. Er wird in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Das Urteil ist rechtskräftig.
Von Männern mit Brillen und Kopfhörern verfolgt
Die Staatsanwaltschaft hatte beim Landesgericht einen Antrag auf Einweisung des 20-Jährigen eingebracht. Der 20-Jährige hatte nach seiner Festnahme erklärt, er fühle sich von Männern mit Brillen und Kopfhörern verfolgt. Beides hatte der 35-Jährige getragen, der auf dem Bahnsteig auf die U3 wartete, als er von hinten einen kräftigen Stoß bekam und auf die Geleise fiel.
Trotz einer sofort eingeleiteten Vollbremsung konnte der Fahrer der einfahrenden U-Bahngarnitur die Kollision mit dem 35-Jährigen nicht verhindern. Dem Arbeiter wurde der rechte Vorderfuß abgetrennt. Abgesehen davon erlitt er multiple Knochenbrüche.
20-Jähriger entschuldigte sich bei Opfer
Beim Prozess entschuldigte sich der 20-Jährige bei dem Opfer. Der 35-jährige Zdravko I., der sehr gefasst wirkte, nahm die Entschuldigung an und dem Angeklagten die Hand entgegen gestreckt. Die beiden Männer umarmten sich daraufhin.
Er versuche, mit dem Geschehenen abzuschließen und weiterzumachen, erklärte der Lagerarbeiter, der der Verhandlung im Rollstuhl beiwohnte. Immerhin sei der 20-Jährige, den sie vor Gericht als Betroffenen anstatt als Beschuldigten bezeichneten, psychisch krank.
Laut einem Sachverständigen werde der junge Mann ein Leben lang Behandlung benötigen. Schon bei der bisherigen Versorgung in der Justizanstalt hätten sich Fortschritte eingestellt. Der 20-Jährige, der sich noch bei der Festnahme verfolgt gefühlt hatte, wirkte vor dem Richter klar.
Selbst unter Schock
Sein Verteidiger Andreas Reichenbach erklärte, es sei unbestritten, dass sein Mandant den 35-Jährigen gestoßen habe. "Aber die heutigen Zeugenaussagen haben gezeigt, dass er danach selbst unter Schock war." Er hätte Angst vor Verfolgern gehabt und das Gefühl, auch daheim beobachtet zu werden. Der 20-Jährige hätte eine akute Psychose gehabt, heute sei er schockiert, zu so einer Tat fähig gewesen zu sein.
Der 20-Jährige, der 2015 als Asylwerber mit seiner Familie aus dem Irak gekommen war, schilderte, dass erste Krankheitssymptome elf Monate vor der Tat aufgetreten waren. "Ich habe Stimmen gehört. Ich habe zuhause Kaffee getrunken und bin dann in die Schule gegangen. Dort haben sie gesagt, dass ich Kaffee ohne Zucker getrunken habe. Wie geht das?"
Verfolgungsideen konzentrierten sich in weiterer Folge auf Hunde und Menschen mit Kopfhörern und Sonnenbrillen. Letzteren schrieb er zu, dass sie es hören könnten, wenn er zuhause weine, und ihn daher verspotten würden. Er befand sich deshalb zwar in Behandlung, wurde laut der psychiatrischen Sachverständigen Gabriele Wörgötter auch zweimal im November 2018 eingewiesen, entwich aber - einmal sogar mit seinen Eltern. Krankheitseinsicht zeigte er nicht, was laut Wörgötter Teil des Krankheitsbildes ist.
Am 8. Mai war der 20-Jährige auf dem Weg ins Fitnesscenter. In der U-Bahn traf er auf das spätere Opfer. Der 35-Jährige trug Sonnenbrillen und Kopfhörer, was offenbar einen heftigen psychotischen Schub bei dem Iraker auslöste. Er glaubte, der 35-Jährige verfolge ihn. "Er hat immer mit der Nase aufgezogen. Ich habe geglaubt, er will mir signalisieren, dass er weiß, dass ich zuhause geweint habe", schilderte der 20-Jährige.
"Ich wollte das nicht machen"
"Ich habe Angst gehabt, ich wollte das nicht machen. Ich habe mir gedacht, entweder er hört auf, oder ich stoße ihn vor die U-Bahn", sagte der Betroffene (bei Zurechnungsunfähigen spricht das Strafrecht nicht von Angeklagten, Anm.). "Ich habe nicht gewusst, dass die U-Bahn kommt, ich habe einfach geschubst." Auf einem Video aus der Überwachungskamera ist allerdings zu sehen, dass sich der 20-Jährige eine ganze Weile hinter dem Opfer befand und ihn erst unmittelbar vor der herannahenden U-Bahn auf den Gleiskörper stieß.
"Das ist sehr schlecht, wenn man sowas macht. Ich konnte mich nicht kontrollieren, das war nicht ich", sagte der 20-Jährige. Als er flüchten wollte, hielt ihn noch eine Frau auf. "'Lass mich', habe ich gesagt." Dass er sie auch mit dem Umbringen bedroht hatte und sie ihn erst deshalb ziehen ließ, daran wollte sich der Betroffene nicht erinnern.
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