Ludwig: "Die FPÖ ist nur an der Herabwürdigung anderer Menschen interessiert"

Bürgermeister Michael Ludwig will einmal mehr mit der SPÖ auf dem ersten Platz landen. Der KURIER hat ihn auf Eismarillenknödel im Eissalon Tichy in Favoriten getroffen – auch die Gespräche mit den anderen Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der derzeit im Gemeinderat vertretenen Parteien fanden dort statt. Mit Ludwig drehte sich das Gespräch um Sicherheit, den vorgezogenen Wahltermin und seine Beliebtheitswerte.
KURIER: Am 27. April 1945 wurde die Unabhängigkeit Österreichs erklärt. Genau 80 Jahre später finden die Wien-Wahlen statt. Sie haben selbst gesagt, dass das „vielleicht nicht nur Zufall ist“. Was meinen Sie denn damit?
Michael Ludwig: Vor 80 Jahren ist nicht nur der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen, sondern auch das grausame NS-Regime, das mit der Shoah ein furchtbares Menschheitsverbrechen zu verantworten hat, viele Österreicherinnen und Österreicher vertrieben, verfolgt oder auch ermordet hat. Es ist keine Selbstverständlichkeit, in einer Demokratie zu leben, und das sollte man auch zum Ausdruck bringen durch die Beteiligung an einer Wahl wie jener am 27. April.
Würden Sie sich im Nachhinein wünschen, Sie hätten den Wahltermin nicht vorgezogen? Dieser wurde unter anderem wegen der Anbahnung einer blau-türkisen Regierung gewählt.
Ich habe vorgeschlagen, den Wahltermin auf April zu legen, weil schon am Abend der Nationalratswahl einige Politiker anderer Parteien angekündigt haben, ab jetzt gibt es Wahlkampf in Wien. Und ich wollte der Wiener Bevölkerung einen monatelangen Wahlkampf ersparen und sicherstellen, dass wir noch vor dem Sommer eine stabile, tragfähige Stadt- und Landesregierung haben. Es ist wichtig, dass wir eine starke Wiener Regierung haben, die auf Augenhöhe mit den Vertreterinnen und Vertretern des Bundes verhandeln kann, egal, wie die Bundesregierung politisch zusammengesetzt ist.
Bildung, Gesundheit, Sicherheit. Viele Parteien haben im Wahlkampf ähnliche Forderungen. Sind alle Parteien austauschbar?
Wenn man genauer hinschaut, gibt es schon starke Unterschiede. Uns geht es um den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Ich kann für die SPÖ Wien ins Treffen führen, dass wir bewiesen haben, dass wir viele dieser Herausforderungen auch meistern können. Sonst wären wir im internationalen Vergleich nicht an der Spitze, was den leistbaren Wohnraum betrifft, sonst hätten wir nicht ein Gesundheitswesen, das so attraktiv ist, dass viele Menschen aus anderen Bundesländern zu uns kommen, um hier behandelt zu werden. Und wir haben noch viel vor für die Zukunft.
Welche Note würden Sie dem Bildungssystem in Wien geben?
Ich gebe generell keine Noten. Es ist viel gelungen, aber es gibt auch große Herausforderungen. Ich habe darum vorgeschlagen, dass wir in der nächsten Legislaturperiode einen besonderen Schwerpunkt in der Ausbildung für mehr pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzen. Wir werden die Deutschförderkräfte im Kindergarten verdoppeln. Ich habe gezeigt, dass in Pflegeberufen solche Maßnahmen erfolgreich sind.
Inwiefern?
Der Mangel bei finanziellen Unterstützungen in der Ausbildungszeit war ein Hindernis. Wir haben deshalb ein Wiener Ausbildungsgeld auf den Weg gebracht und ab diesem Zeitpunkt haben wir kein Problem mehr gehabt. Wir haben derzeit rund 16.000 Personen in Ausbildung für die Pflegeberufe, 6.000 davon haben ihre Ausbildung bereits abgeschlossen.
Laut OGM-Umfrage im Auftrag des KURIER sagen 42 Prozent der Wienerinnen und Wiener, dass sie sich weniger sicher fühlen als früher und 17 Prozent fühlen sich sogar unsicher in der Stadt. Hat man dieses Unsicherheitsgefühl zu wenig ernst genommen?
Sicherheit ist mir ganz wichtig. Wir haben als Stadt im Rahmen unserer Möglichkeiten konsequente Maßnahmen gesetzt. Für die öffentliche Sicherheit ist ja vor allem die Polizei, eine Bundeseinrichtung, zuständig. Aber wir als Stadt Wien unterstützen mit aller Kraft die Polizei bei ihrer Tätigkeit. Wir haben ein Einsatzteam unter der Leitung der Gruppe für Sofortmaßnahmen geschaffen, die ganz eng mit der Polizei zusammenarbeitet. Wo es ein verringertes Sicherheitsgefühl gibt, dort setzen wir auch Maßnahmen. Wir haben etwa eine ganze Reihe von Plätzen definiert, wo wir sagen, dass man stärker kontrollieren muss und Alkoholverbotszonen oder Waffenverbotszonen umgesetzt.
Bei einer Direktwahl zum Bürgermeister hätten Sie mit 53 Prozent die absolute Mehrheit. Die SPÖ liegt nur bei rund 39 Prozent. Ärgern Sie sich über die Streitigkeiten, die in der Öffentlichkeit ausgetragen werden? Ist Ihre Partei wie ein Klotz am Bein?
Nein, ich bin seit vielen Jahren in der Sozialdemokratischen Partei tätig und weiß, dass eine Partei immer aus ganz unterschiedlichen Gruppierungen besteht. Die Sozialdemokratie ist eine sehr starke politische Kraft mit einer langen Tradition und es ist auch die älteste Partei, die immer auf der richtigen Seite der Demokratie gestanden ist. Wir sind aber auch eine Partei, die sehr viele Zukunftsvorstellungen hat, die wir gemeinsam realisieren wollen.

KURIER-Serie: Interviews mit den Spitzenkandidaten im Eissalon Tichy: Michael Ludwig (SPÖ) im Gespräch mit Chronik-Ressortleiterin Agnes Preusser.
Sie selbst stammen aus Floridsdorf. Dort erstarkt die FPÖ und es gibt außerdem eine große Gruppe an Nichtwählern. Was muss man tun, um die Menschen dort politisch abzuholen?
Vor allem muss man den Dialog führen. Ich bin sehr froh, dass wir bei der letzten Nationalratswahl wieder ein Mandat in Floridsdorf gewonnen haben – das einzige Nationalratsmandat, das die SPÖ dazugewonnen hat. Ich bin überzeugt, dass es uns bei der Gemeinderatswahl und auch bei der Bezirksvertretungswahl gelingen wird, deutlich zu machen, dass die Sozialdemokratie in der Lage ist, mit zukünftigen Herausforderungen umzugehen.
Migrantische Communitys sind in Wien ein wichtiges Thema und auch eine wichtige Wählergruppe. Der SPÖ wird aber immer wieder auch eine Nähe zur türkischen AKP nachgesagt. Müssten Sie sich mehr abgrenzen?
Zuletzt habe ich den Eindruck gehabt, es treffen sich Vertreter der FPÖ mit verschiedenen Gruppierungen. Ich habe ein gutes Einvernehmen mit türkischen Städten, und zwar unabhängig, ob die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister von der AKP oder von der CHP gestellt werden. Ich frage nicht vorher, welche Parteizugehörigkeit sie haben. Das gilt im Übrigen auch für andere Städte unterschiedlichster Länder. Da geht es um gute Kontakte, die wir auf kommunalpolitischer Ebene führen, und ich habe ein starkes Interesse, die Wiener Wirtschaft zu vertreten.
Wenn sich die Umfragen bewahrheiten, können Sie nach dem Wahltag aus dem Vollen schöpfen, was Ihren zukünftigen Koalitionspartner betrifft. Haben Sie eine Präferenz?
Die Wahl ist noch nicht entschieden! Wenn man die verschiedenen Meinungsumfragen anschaut, gibt es durchaus rechnerische Herausforderungen bei einer Zweierkoalition. Ich habe prinzipiell meine Bereitschaft erklärt, mit allen im Gemeinderat vertretenen Parteien Gespräche zu führen, mit Ausnahme der FPÖ. Auch dieser Wahlkampf zeigt, dass die FPÖ im Unterschied zu anderen Parteien nicht an einem inhaltlichen Dialog interessiert ist, sondern nur an der Herabwürdigung anderer Menschen und an der Polarisierung der Gesellschaft.
Im Wahlkampf haben fast alle Parteien die Wien-Liebe im Fokus. Darum zum Abschluss: Was lieben Sie in Wien am meisten?
Die Menschen.
Klarheit: Die wichtigsten Begriffe
Der SPÖ-Politiker Michael Ludwig (Jahrgang 1961) ist seit 2018 Wiener Bürgermeister. Aufgewachsen ist Ludwig in einem Gemeindebau in Floridsdorf. Der 21. Bezirk hat seine politische Laufbahn geprägt: Der studierte Historiker startete dort 1994 als Bezirksrat. Später war er Wohnbaustadtrat unter seinem Vorgänger Michael Häupl. Ludwig gilt als scharfer Kritiker des Rechtskurses der FPÖ, insbesondere deren Bundeschef Herbert Kickl. In seiner ersten Regierungszeit koalierte er mit den Wiener Neos.
SPÖ steht für Sozialdemokratische Partei Österreichs. Gegründet wurde sie 1889 in Hainfeld (NÖ) als Sozialdemokratische Arbeiterpartei, ihre Wurzeln liegen in der Arbeiterbewegung. Die Parteifarbe ist Rot.
In Österreich zählt die SPÖ zu den sogenannten linken Parteien; im Grundsatzprogramm von 1998 bekennt sie sich zu den Werten Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Vollbeschäftigung. Säulen der Partei sind auch die Vertreter aus Arbeiterkammer (AK) und Gewerkschaftsbund (ÖGB). Seit 1945 stellt die Wiener SPÖ durchgehend den Bürgermeister – aktuell ist das Michael Ludwig.
FPÖ steht für Freiheitliche Partei Österreichs. Gegründet wurde sie 1955 in Wien als Nachfolgepartei des Verbands der Unabhängigen (VdU), in dem sich damals auch viele ehemaligen Nationalsozialisten befanden. Die Parteifarbe ist Blau. Die FPÖ ist heute eine rechtspopulistische und EU-skeptische Partei, die seit Jahrzehnten die Migration nach Österreich bekämpft. Die Wiener FPÖ war in der Bundeshauptstadt bisher noch nicht in Regierungsverantwortung, Parteichef ist derzeit Dominik Nepp.
Floridsdorf, mit 44,4 km² flächenmäßig der zweitgrößte Bezirk Wiens, ist das Zuhause von 186.233 Menschen. Früher gab es hier viel Landwirtschaft, später entstanden auch Industrie- und Gewerbebetriebe. Dennoch hatte Floridsdorf immer den Ruf, ein Arbeiterbezirk zu sein. Zuletzt kam der Bezirk in die Schlagzeilen, da im Februar am Franz-Jonas-Platz ein Alkoholverbot eingeführt wurde. Bezirksvorsteher ist Georg Papai (SPÖ).
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