Das Cordon bleu als Paradegericht im Reznicek

Simon Schubert und Julian Lechner stehen vor einem Fischbild.
Ein Koch und ein Sommelier haben aus dem „Reznicek“ ein Wiener Gasthaus mit Witz und Geschmack gemacht.

Simon Schubert ist nicht der Einzige, der seit einiger Zeit in der Welt der Wiener Speisehäuser von einer neuen Zeitrechnung spricht. Demnach leben wir im Jahr 4 P. L., Post Lockdown. Genau vier Jahre sind seit dem letzten vergangen, und als der am 12. Dezember 2021 endlich zu Ende ging, war sein Leben ein anderes.

Es ist später Vormittag am Alsergrund, Simon Schubert lässt erst einmal einen für Wiener Verhältnisse beachtlichen Espresso in die Tasse tropfen, dann erzählt er, wie er und sein Kollege Julian Lechner hier gelandet sind: im Gasthaus „Zum Reznicek“, einem Haus mit langer Geschichte. 

„Ich bin daheim gesessen und hab’ mir Inserate von Gastro-Immobilien angeschaut, aber es war ziemlich mühsam, weil ich hab’ das Gefühl gehabt, dass viele sich mit abstrusen Ablöseforderungen einfach nur sanieren wollen.“

Dann entdeckte Schubert das alte Gasthaus im Grätzel namens Lichtental; er sah es sich mit Julian Lechner an: „Nach einer halben Stunde war alles klar: Hier machen wir uns selbstständig.“

Simon Schubert und Julian Lechner, beide Studienabbrecher, lernten einander im Restaurant „Mraz und Sohn“ kennen und schätzen. „Uns war bald klar, dass wir kulinarisch auf einer Wellenlänge sind“, sagt Simon. „Ich war schon 20“, sagt Julian, der damals dort Kochlehrling war. „Und wenn du so spät berufen bist, musst du Gas geben.“ 

Im vielfach ausgezeichneten Restaurant in der Brigittenau erwarb sich Lechner „vor allem eine klassische Ausbildung, weil, wenn der Markus Mraz ein Reisfleisch macht, denkst du: Boah, das ist es!“ Bei Fabian Güntzel im Restaurant „Aend“ pflegte er die hohe Kunst der Saucen, während Simon Schubert draußen bei den Gästen seinen exzellenten Ruf als Sommelier polierte. Im ehrgeizigen „Café Kandl“ war Lechner dann schon Küchenchef.

Das waren durchwegs illustre Stationen, also stellten sich die beiden die Frage, wie man diese Erfahrungen in einem rustikalen Eckbeisl so umsetzt, dass man sich selbst nicht verbiegt, aber auch die Seele des alten Schankraums bewahrt. 

Das erste Gericht

„Das Lokal hat ganz einfach vorgegeben, was es hier gibt“, sagt Simon Schubert. Nicht zufällig stammte das erste Gericht, an dem sie spätnachts in der umgebauten Reznicek-Küche tüftelten, aus dem Kanon der Altwiener Küche: Cordon bleu.

Das berühmte Cordon bleu beim Reznicek auf einem weißen Teller.

Das Cordon bleu: ein Grund, zum „Reznicek“ zu gehen.  

Die Idee dahinter: es aus der Hölle des Pressschinkens und Scheiblettenkäses, in der es da und dort brutzelt, zu befreien – indem man etwa den süchtig machenden Beinschinken der Fleischerei Höllerschmid und Bergkäse von Anton Sutterlüty verwendet – jenem Senner, der 2001 als erster den Hauptgewinn der „Millionenshow“ – damals waren es zehn Millionen Schilling – nach Hause trug.

Der mürrische Fisch

Kitsch entsorgen, Schank renovieren – das machte neben der Entwicklung einer Küchenlinie die meiste Arbeit vor der Eröffnung im März 2022. Und dann war da noch dieses Bild von einem grantigen Fisch der Künstlerin Anna Hugo. Julian Lechner, der mit seinem Vater einen Fischteich bewirtschaftet, hatte es für sich malen lassen, aber es passte einfach zu gut in den Speisesaal – und macht ihn seither unverwechselbar.

Im „Reznicek“ war zuvor jahrzehntelang die Zeit stehen geblieben. 1750 ist das Haus erstmals als Gaststätte erwähnt. Ab 1927 heißt es drei Generationen lang „Gastwirtschaft Franz Weiss“. 1955 wird die Wagnergasse nach dem Komponisten und Dirigenten Emil Nikolaus von Reznicek (1860–1945) umbenannt. Der spätere Wirt Herbert Prockl ist ein herzenswarmer Mann von der Statur des Oskar aus Ödön von Horvaths „Geschichten aus dem Wienerwald“, wie es hieß, und serviert „das beste Schnitzel im neunten Hieb“; seine kroatischen Nachfolger ab 2013 pflegen vor allem die Ganslzeit.

Paprikateufel mit Spätzle

Den Ton im Speisehaus des Komponisten gibt auch heute die heimische Klassik an, aber der bisweilen zart ironische Blick über den Tellerrand darf nicht fehlen. 

Deshalb erfand Lechner Seeteufelbackerln á la Paprikahendl. Mit Spätzle. Oder er parodiert, durchaus stimmig, eine groteske Schöpfung des französischen Drei-Sterne-Kochs Alain Passard, der ein halbes Huhn mit einer halben Ente zusammennäht und es als gebratene „Chimäre“, also mythologisches Mischwesen, aus der Küche schickt. Dr. Frankenstein nannte ihn die internationale Presse dafür.

Lechner macht aus der Kreatur – was sonst? – ein Cordon bleu, aus dem jeweils ein Enten- und Hühnerfuß ragt. Schubert sagt, er sei „am Anfang doch skeptisch gewesen, weil ich dazu kein Bild gehabt hab’“. Mittlerweile aber ist das panierte Entenhuhn für bis zu drei Personen, das mit schwarzen Trüffeln serviert wird und stattliche 129 Euro kostet, neben dem grantigen Fisch das zweite Erkennungszeichen des „Reznicek“. Frei nach Johann Nestroy: Es is alles Chimäre, aber Hauptsach’ es schmeckt.

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