Ein Dorfbeisl wie früher, mitten in einem Wiener Bobo-Viertel

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Im Wiener Bobo-Grätzel Margareten hält sich ein Gasthaus, wie es einmal war: Christian Tischler rettete das „Haas Beisl".

In manchen Metropolen der Welt gibt es, zwischen erdrückende Wolkenkratzer eingezwängt, noch uralte kleine Häuser, die sich bis heute erfolgreich der Schleifung widersetzt haben – Relikte einer längst vergangenen Zeit, aus Ziegelsteinen erbaut, mit echtem Stuck und Steinfiguren verziert. Eigentlich ist auch die Margaretenstraße 74 in Wien so ein Ort.

Das venezianische Rot der Fassade bröckelt längst, die Fensterrahmen sind von Rissen im Lack durchsetzt; im Haus links wirbt eine Taqueria mit einer vernichtenden Ein-Stern-Bewertung aus den sozialen Medien („Come try the Tacos Barbara didn’t like“), rechts die übliche Döner-Bude.

Und dann betritt man unter dem riesigen, üppig verzierten Gasthausschild eine andere Welt mit hölzernen Vertäfelungen und mit Kreide auf schwarzen Schiefer gekritzelten Tagesangeboten. Christian Tischler kannte das „Haas Beisl“ schon lange, bevor er es im Jahr 2012 als Wirt und Koch übernommen hat, als Gast.

Der Eingang zum Haas Beisl in Wien-Margareten.

Entrée in eine andere Welt: Hier ist die alte Zeit zu Hause.

Und als wüsste er heute, welches gallische Dorf er in der quirligen Straße am Leben erhält, meint er nachdenklich: „Wahrscheinlich hab’ ich das Haas Beisl davor gerettet, eine Lieferando-Pizzeria zu werden.“

Schlachtfrisch

So ist das Beisl geblieben, was es immer schon war – ein Hort der echten, mit Gefühl für Tradition und Geschmack zubereiteten Wiener Küche. Wo gibt es noch das wahrhaftige Bruckfleisch? Jenes nach den Schlachtbrücken der Fleischereien benannte Ragout, wo man billig all das kaufen konnte, was den Herrschaften zu minder war: Milz, Nieren, Kronfleisch, Herz und die obligaten Liachtln, die rindliche Aorta, die in Streifen geschnitten aussieht wie Calamari auf einem mediterranen Fischmarkt. 

„Früher war es immer auf der Karte“, bedauert Christian Tischler, „aber es ist nicht mehr leicht, perfekte Qualität am Schlachttag zu kriegen. Vor allem das Blut ist ein Problem, und ein echtes Bruckfleisch muss zum Schluss mit einem Gemisch aus Blut und Mehl gebunden werden.“

Ein paarmal im Jahr gibt es diese kulinarische Antiquität immer noch, aber zum Glück steht das Katzengschroa regelmäßig auf der Speisekarte. „Ein echter Renner“, weiß Tischler aus Erfahrung. Er hat als Kind im Burgenland schon gelernt, warum das Innereienragout so heißt: „Wenn die Großmutter gleich nach dem Schlachten Leber, Nieren und Stichfleisch in den großen Topf auf dem Holzherd geworfen hat, haben die Katzen vor Gier gemaunzt.“

"In der Kuchl picken geblieben"

Mit archaischen Aspekten der Kulinarik ist Christian Tischler auch später, als Gymnasiast, vertraut geblieben. Da führte er Reisegruppen durch die Burg Lockenhaus, die sein Onkel damals gepachtet hatte, und half danach in der Küche.

Der Höhepunkt der Burgführung war nämlich das beliebte, von Menschen, die aus rappelvollen Autobussen purzelten, gestürmte Raubrittergelage. „Das hat in den 80er-Jahren geboomt“, erinnert sich Christian Tischler mit sacht süffisantem Lächeln. „A Brettl, a Messer und a Riesentrumm Fleisch. Dann ham’s mit den Fingern g’essen.“

Er ist trotzdem, wie er sagt, „in der Kuchl picken geblieben“. Nach Jahren, in denen er Steaks brutzelte und Woks rührte, landete er im mittlerweile verblichenen „Schwarzen Adler“ ganz in der Nähe seines heutigen Gasthauses und erwarb sich dort einen ziemlich guten Ruf. „Man kann sagen, ich hab’ mich langsam ans Haas Beisl angeschlichen.“

Die Spinnerei im Keller

Es ist ein Haus mit langer Geschichte. 1899 als Armenausspeisung eröffnet, führte es Anton Karall ab 1935 als Wein- und Bierhaus weiter; dann kam Tochter Inge, durch deren Heirat es den Namen Haas erhielt.

Als sich 2012 Christian Tischler und sein Geschäftspartner Gerhard Schedl das Relikt im Bobo-Grätzel anlachten, gab es Zug um Zug mehr Gründe, das „Haas Beisl“ aufzusuchen: das gebackene Bries „Pariser Art“, die Wildgerichte im Herbst – und vor allem eine der gelungensten Beef Tatar-Interpretationen der Stadt, mit einer kleinen Portion Eigenverantwortung für die Gäste, denn gehackte Kapern, Gurkerl und Zwiebel werden extra serviert. Sozusagen zum Fine Tuning.

Beef Tatar am Teller, die Zutaten sind rund um das Fleisch angeordnet. Gemischt wird selbst.

„Bastlerhit“: das Beef Tatar zum Selbstabschmecken.

Und dann hat Christian Tischler, der seit 2023 alleiniger Wirt im „Haas Beisl“ ist, noch „eine kleine Spinnerei“ aufzuwarten – nämlich eine Weinkarte, die in der rustikalen Gastronomie ihresgleichen sucht, auch was die Preisgestaltung betrifft. 200 Positionen, durchwegs aus Österreich, sind da gelistet, darunter Topweine aus Häusern wie Knoll, Pichler, Bründlmayer, Tement, Krutzler oder Pöckl. „Die brauchst auch“, sagt Christian Tischler, „aber ich pushe eher kleinere Weingüter, die zu unserer Küche passen.“ Als ihm ein Lieferant einmal sagte, er verstehe nicht, warum anderswo der Aufschlag bis zu 500 Prozent beträgt, nickte der Wirt nur zustimmend und meinte: „Des versteh’ i a net.“ Damit ist er nicht allein.

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