Lebenslange Haft für einen absehbaren Frauenmord

Lebenslange Haft für einen absehbaren Frauenmord
Noureddine N. war eine tickende Zeitbombe. Die Behörden wussten das. Im Februar tötete er seine Lebensgefährtin in Wien-Favoriten. Urteil nicht rechtskräftig.

Es war vorhersehbar, dass Noureddine N. tötet. Schon seit dem Jahr 2019. Damals führte die Polizei eine Gefährdungsanalyse bei ihm durch. Eine „hohe Wahrscheinlichkeit zu schweren Gewalttaten“ wurde dem heute 29-Jährigen bescheinigt. Und noch konkreter: ein „Tötungsrisiko bei einer gewissen Beziehungsdynamik“. Speziell die Gefahr des Erwürgens wurde hervorgestrichen.

Noureddine N. hat getötet. Am Dienstag wurde er im Landesgericht für Strafsachen in Wien wegen Mordes zu lebenslanger Haft und Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher verurteilt; nicht rechtskräftig. Am 23. Februar würgte er seine Lebensgefährtin Daria K., 28, in ihrer Wohnung in der Angeligasse in Wien-Favoriten, zog ihr ein Plastiksackerl über den Kopf, stach auf sie ein. Nur Stunden zuvor hatte die Frau die Polizei wegen häuslicher Gewalt alarmiert. Der Angeklagte hatte sie gewürgt, ihr mehrfach einen Schuh ins Gesicht geschlagen, sie in am Boden liegende Glasscherben gestoßen. Als die Polizei kam, war er längst weg. Doch er kehrte zurück.

Seit mehr als zwei Jahren waren er und Daria K. ein Paar. Alkohol und Drogen spielten eine große Rolle. Schläge gab es häufig.

„Du wirst sterben“

Noureddine N., geboren in Wien. Ein Schulabbrecher, ewiges Sorgenkind der Familie, das als Teenager Ratten gezüchtet und mit einer Machete ausgeweidet haben soll. Ein Mann, der fünf Vorstrafen hat, großteils wegen Körperverletzung. Unter anderem gegen seine Ex-Frau. Der immer wieder Drohungen äußerte: „Ich werde dir noch Schlimmeres antun, als dich nur zu schlagen. Du wirst durch meine Händen sterben!“

Auf der anderen Seite Daria K. Schwierige Lebensverhältnisse, emotional von ihrem Lebensgefährten abhängig, unterwürfig. Als sie von Noureddine N. schwanger ist, will sie das Kind behalten. Doch er schlägt und bedrängt sie so lange, bis sie abtreibt.

Dennoch: Mit dem Mord will er nichts zu tun haben. „Das Opfer hatte einen großen Bekanntenkreis“, sagt sein Anwalt Manfred Arbacher-Stöger. Doch wer war es dann?„Eine sehr gute Frage“, meint der Angeklagte.

Gewalttätig? „Ja, schon“

„Würden Sie sich als gewalttätig beschreiben“, fragt ihn der vorsitzende Richter Wolfgang Etl.

„Ja, schon“, sagt Noureddine N. „Aber nicht vorsätzlich.“

Dann schüttet der Angeklagte sein Herz aus. Allein: Die zahlreichen Zuhörer im hallenden großen Schwurgerichtssaal können seine Aussage nur erahnen. Das Mikro ist nicht aufgedreht.

Nach der Tat lief er zum Stiefvater der Frau, der ein Stockwerk darüber lebt: „Sie ist tot“. Gemeinsam gingen die Männer zurück in die Wohnung. Dort lag die Frau mit dem Plastiksack über dem Kopf. „Daria, bitte lebe!“ schrie Noureddine N. „Ich dachte, sie schläft“, sagt er im Gericht. „Mit einem Plastiksack über dem Kopf?“, wundert sich der Richter.

Gegenüber der Polizei gab er zu: „Ich bin schuld!“ „Weil ich mich schuldig gefühlt habe“, sagt er nun.

Die Geschworenen glauben ihm nicht.

100 Gefährdungsanalysen jährlich in Wien

Rund 100-mal führte die Landespolizeidirektion (LPD)  Wien im Vorjahr  Gefährdungsanalysen durch. Rund die Hälfte der Fälle betrifft häusliche Gewalt. Aber auch bei Drohungen gegen Behörden oder Schulen  werden derartige Analysen durchgeführt.

„Für diesen sensiblen Aufgabenbereich werden nur besonders geschulte Bedienstete herangezogen“, heißt es vonseiten der LPD.  Es handelt sich nicht um Psychologen, sondern um erfahrene Beamte. Ziel sei es, anhand des festgestellten Risikos Schutz- und Präventionsmaßnahmen zu empfehlen.

Bei „erhöhter Gefährdung“ wird die Analyse laut eigenen Angaben auch der Justiz zur Verfügung gestellt. Auch das Opfer wird darüber informiert und eine Beratung durchgeführt. In besonders schwerwiegenden Fällen ist  Polizeischutz  möglich.

Wesentlich: Die Information kann auch von Streifenpolizisten bei einem aktuellen Einsatz abgefragt werden. Und das passiere laut LPD etwa auch bei Einsätzen nach häuslicher Gewalt standardmäßig.  

Anwältin Sonja Aziz, die die Hinterbliebenen von Daria K. vertritt, kann das nicht bestätigen. „In dem Fall wäre das  beim ersten Einschreiten im Anlassbericht erwähnt worden. Ist es aber nicht.“ Zudem hätte das Opfer  bei einer solchen Gefährdungslage – gewalttätiger, flüchtiger Freund – zumindest stationär im Spital behalten werden müssen.

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