Mode-Atelier Knize: Warum das Loos-Interieur am seidenen Faden hängt
Knize-Chef Rudolf Niedersüß: Nunmehr 90 – aber kein bisschen weniger fleißig.
Es sind gerade turbulente Tage am Wiener Graben. Nicht draußen, wo die Touristenströme von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten pilgern, und dabei nichtsahnend an einem kleinen, aber umso bedeutenderen Juwel der Wiener Moderne vorbeitrotten. Denn hier drinnen, auf Haus Nummer 13, dem berühmten Herrenmode-Atelier Knize, gibt es gerade viel zu feiern: Hausherr Rudolf Niedersüß hat soeben seinen 90er zelebriert und wird kommende Woche, wenn er vom Bundespräsidenten das Goldenes Ehrenzeichen der Republik verliehen bekommt, kurz das Maßband um den Hals abnehmen – denn der rüstige Herr steht wie selbstverständlich täglich von früh bis spät im Geschäft und nimmt an seinen Kunden Maß.
Granit-Portal: Shop-Branding von Loos anno 1911.
Bauhistorisches Gutachten
Neu vermessen – und damit sind wir beim dritten Feier-Anlass – wurde auch sein Geschäft. Und dabei wurden so manche Geheimnisse des edlen, mehr als 110 Jahre alten Interieurs von Adolf Loos entdeckt. Mit Unterstützung des Bundesdenkmalamts hat Architekt Ralf Bock ein bauhistorisches Gutachten erstellt, das das Knize-Atelier als ein raffiniertes, von Logik durchzogenes Gesamtkunstwerk erscheinen lässt, das Besucher nicht bloß zufällig staunen macht. Oder wie es Bock ausdrückt: „Das hier ist eine Schatzkiste, ein wahres Juwel. Das noch dazu außergewöhnlich gut erhalten und voll funktionsfähig ist.“
Muss es auch sein, denn schon ruft der nächste Kunde: „Ich habe hier ein 20 Jahre altes Tuch. . .“ So etwas ist natürlich Chefsache, weshalb Niedersüß den KURIER kurz vertröstet.
Hier vor dem Chefbüro im Mezzanin ist so ein besonderer Ort: Loos hat es mit Spiegeln und Blickbeziehungen geschafft, quasi ums Eck bis zum Eingang ins Erdgeschoß schauen zu können: „Der Chef muss immer alles überblicken können“, erklärt Bock. Und auch das von Loos ab 1911 in Angriff genommene Eingangsportal aus schwarzem, schwedischen Granit ist nicht bloß optisch eine Besonderheit: Kunden müssen durch einen (heute wohl baupolizeilich verbotenen) nur 70 Zentimeter breiten Schlurf, um dann in den Verkaufsraum zu treten.
Farbenrausch: Salon im Mezzanin.
Kleines wird großartig
Ein simpler Trick, der zur Offenbarung für die schöne Ware wird. „Hier wird eine Art Schlüsselloch-Effekt erzeugt, ein Wow-Moment“, sagt Bock, der dieses Prinzip bei Knize öfter vorfand. Kleine, enge Räume wirken so plötzlich groß und großartig.
Fragt man Herrn Niedersüß, wo denn sein persönlicher Lieblingsplatz in all der Pracht sei, dann erfährt man: „Ich habe viele! Es ist einfach so schön, hier zu arbeiten“, sagt er strahlend. In den 1950ern hat er hier als kleines Schneiderlein begonnen, ehe er das Geschäft 1976 erwarb – eine halbe Ewigkeit, die voller Erinnerungen ist. Ganz stolz zeigt Niedersüß ein Bild von Billy Wilder aus 1994 her, als dieser zum letzten Mal hier war. Kürzlich klopfte Hollywood übrigens wieder an: Schauspieler Willem Dafoe ließ sich in einer Szene des Streifens „Der Souffleur“ bei Knize einen Anzug machen – natürlich vom Chef höchstpersönlich, der auch vor der Kamera zu brillieren wusste. Der Star ist hier aber eigentlich das Interieur, weil es auch endlos Stoff liefert.
Eine neue Erkenntnis ist etwa, dass das Loos-Werk nicht schon 1913 final abgeschlossen war, sondern fast bis zu dessen Tod anno 1933 immer wieder verfeinert und weiterentwickelt wurde, weil Umbauten und Adaptionen nötig waren. „Er war modern und zeitgemäß, nach dem Motto: Kultur ist evolutionär. Statt zu zerstören wollte Loos verändern“, erklärt Bock.
Von Loos maßgeschneidert: Verkaufsraum mit Galerie.
80 Prozent noch original
Besonders markant geschah dies ab 1918: Mit der Neuausrichtung von Knize zur ersten globalen Modemarke erfolgte auch eine Verlagerung der Kundenströme – nämlich so wie heute ging es via Stiege zum Kirschholzsalon nach oben. „Loos sollte allen Knize-Geschäften damals schon eine eigene Corporate Identity geben, die aber in Paris und Prag ganz anders aussah“, berichtet Bock. Heute noch erhalten – und zwar zu circa 80 Prozent im Originalzustand ohne Restaurierung (!) – sei aber nur Knize am Graben. „Ein kunsthistorisch unschätzbarer Wert eigentlich.“ Eine Art Zeitkapsel zum alten Wien – nicht rekonstruiert, sondern vollkommen (und) authentisch.
Die daher nicht nur dokumentiert, sondern jetzt auch sanft restauriert wurde: Die zentrale Kirschholzvitrine im Erdgeschoß, die schon notdürftig geflickt war, wurde fachmännisch erneuert; die Treppe aus alter Esche wurde vom Kautschuk-Überzug befreit, weil eben nicht original Loos; und die Umkleiden erhielten wieder ihre grüne Wandtapete zurück. „Außerdem haben wir im Internet Lampen aus den 30er-Jahren aufgespürt, die den Plänen entsprachen“, erzählt Bock.
Da wie dort müsse bei diesem Denkmal von Weltrang noch nachgebessert werden – so sollte der weiße Teppichläufer auf der Treppe nach historischem Vorbild bald wieder neu aufgelegt werden.
Und doch hängt die Zukunft dieses überwältigenden Ensembles am seidenen Faden: Denn was passiert mit alledem, wenn in dem Familienbetrieb Nadel und Zwirn an die nächste Generation übergeben werden und dann womöglich die Mietpreise in exorbitante Höhen rauschen?
1858 von Schneider Josef Kniže gegründet, wurde das Geschäft am Graben 1895 eröffnet. 1911 begann Adolf Loos mit der Umgestaltung. Als „k.k. Hof-Schneider“ avancierte Knize zum ersten Herrenmodelabel der Welt mit prominenter Kundschaft und Filialen in New York, Berlin, Paris, Prag und Bad Gastein.
Polo-Reiter als Logo
Lange Zeit war der Polo-Reiter das Markenlogo, ehe es in der Nachkriegszeit an Ralph Lauren verkauft wurde.
Fassaden-Logo am Wiener Graben.
Sorge um Mieterhöhung
Und da sprechen wir am Graben nicht von ein paar 100, sondern eventuell ein paar 10.000 Euro mehr. Pro Monat und nicht pro Jahr! Ein goldener Schnitt für die einen, ein tödlicher womöglich für die anderen.
Denkmalschützer und Architekten haben daher zuletzt bereits an Gebäudeeigentümer Generali schriftlich appelliert, die Symbiose von Knize und Loos nicht zu zerschlagen, andernfalls drohe ein zweiter Fall „Braun und Co“. Der Ex-Nachbar – ebenfalls in einem Generali-Haus situiert – wurde 2004 in eine H&M-Filiale umgemodelt. Allen Experten ist klar: Der seit 1972 bestehende Denkmalschutz könne nie ein alleiniger Rettungsfaktor sein.
Hoffen auf Einigung
Der Versicherungskonzern hat bisher aber die Schreiben ignoriert, auch für den KURIER gibt es keinen Kommentar. Geschäftsführerin Claudia Niedersüß hofft fest auf eine gütliche Einigung, zumal ja auch das Loos-Interieur – wie nun en détail dokumentiert – eine „enorme Wertsteigerung der Immobilie“ sei.
Bleibt noch eine Frage an den Knize-Chef: Was kostet denn so ein Maßanzug? „Ab 10.000 Euro“, sagt Niedersüß, „aber wir haben eine eigene Konfektion mit einem Schnitt von mir für rund 3.000 Euro. Die verkauft sich sehr gut.“ Eine original Wiener Edelmarke hat eben einen hohen Preis. Und einen stolzen Wert.
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