Kieferbruch für Diebstahlsopfer

Eine Beamtin fotografierte Beganovics Gesicht nach dem Polizeieinsatz ...
Ein Beamter drohte: "Unsere Zeit kommt schon noch!".

Enes Beganovic ist kein Waserl, wie man in Wien sagt. Der 34-Jährige ist vorbestraft, saß schon zwei Mal im Gefängnis, verkehrt im Bordell, aber mit der Staatsgewalt hat er sich noch nie angelegt. Am 29. März dieses Jahres sollte der Bauleiter im Kommissariat Storchengasse in Wien-Fünfhaus als Diebstahlsopfer befragt werden und landete mit einem Kieferbruch im Spital.

"Sechs Beamte haben mich zu Boden geschleudert und saßen auf meiner Brust. Es ist mir gelungen, den Kopf zur Seite zu drehen. Ich habe Blut gespuckt und wäre fast erstickt", schildert Beganovic.

Rund 600 angezeigte Misshandlungsvorwürfe gegen die Polizei wie diese werden jährlich von der Staatsanwaltschaft bearbeitet, Verurteilungen muss man mit der Lupe suchen (siehe Zusatzbericht unten).

Auch im Fall Beganovic blieben die Polizisten bisher vollkommen unbehelligt, das Verfahren wurde eingestellt. Dafür wurde Enes Beganovic wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt und schwerer Körperverletzung einer Beamtin vor Gericht gestellt, allerdings freigesprochen.

"Die haben einen Karatefilm beschrieben", sagt Beganovic, "der nie stattgefunden hat."

Amtshaftung

Der Richterin waren die Aussagen der Polizisten zu widersprüchlich. "Das waren sechs verschiedene Aussagen, die haben alle gelogen", sagt Beganovic. Sein Verteidiger Karl Bernhauser will das Blatt nun noch einmal wenden und Amtshaftungsklage sowie Strafanzeige gegen die Beamten wegen Misshandlung und falscher Zeugenaussage erstatten.

Das Drama nahm in einem Bordell in Wien-Fünfhaus seinen Ausgang. Beganovic wurde von einem Bekannten die Brieftasche mit 2500 Euro gestohlen, als er gerade – sagen wir: abgelenkt war. Nachdem eine Funkstreifenbesatzung am Tatort eingetroffen war, behauptete der Bekannte, Beganovic habe ihm sein Handy gestohlen. Beganovic forderte eine Beamtin auf, den mutmaßlichen Brieftaschendieb zu durchsuchen und erntete dafür ein "Halt die Goschen!"

Der 34-Jährige ist in Wien geboren und aufgewachsen, "aber ich werde immer noch als Jugo gesehen", mit dem man umspringen könne, wie man wolle, sagt er. Beganovic bestand damals darauf, per Sie angesprochen zu werden, zückte sein Handy und begann, die Szene aufzunehmen (die Polizei nahm ihm das Handy später ab und löschte die Aufnahme).

Daraufhin forderte die Beamtin Verstärkung an. Beganovic wurde mit aufs Wachzimmer Storchengasse genommen, sechs Polizisten marschierten auf, Beganovic ließ sich zu einer ordinären Beschimpfung hinreißen und bekam Fäuste zu spüren.

Plötzlich kam eine Beamtin in den Raum und machte ein Foto von seinem geschwollenen, blutverschmierten Gesicht.

"Danke", sagte Beganovic noch höflich, dann legte man ihm Hand- und Fußfesseln an und brachte ihn mit Kieferbruch und einem durchtrennten Nerv unter dem Auge ins Krankenhaus, wobei ihn ein Polizist die ganze Zeit ausgelacht haben soll.

Drohung

Szenenwechsel: Monate später geht Beganovic in ein anderes Wachzimmer in seinem Wohnbezirk Fünfhaus in der Wurmsergasse, um anzuzeigen, dass jemand in seiner Baufirma in die Kasse gegriffen hat. Während er bei einem Beamten die Angaben zu Protokoll gibt, mischt sich ein anderer Beamter mit ätzenden Bemerkungen ein. Es ist just jener Polizist aus der Storchengasse, der Beganovic am 29. März beim Transport ins Krankenhaus ausgelacht hat. Als der Bauleiter das mitbekommt, schaltet er sein Handy auf Aufnahme und schneidet mit: "Sie sehen einen blutigen Menschen vor sich und finden das lustig? Ich würde mich schämen", sagt Beganovic. Der Beamte droht mit dem Zeigefinder und sagt: "Unsere Zeit kommt schon noch!"

Zwei Wochen später kommt das Tüpfelchen auf dem i, in Form einer Strafverfügung für Boganovic: "Sie haben ... wild mit den Händen vor den Gesichtern der Beamten gestikuliert. Sie haben mit den Händen auf das Pult geschlagen und ungebührlicher Weise störenden Lärm erregt." Macht 200 Euro Strafe.

2011 wurden von der Staatsanwaltschaft 619 Fälle von Misshandlungsvorwürfen gegen Polizisten bearbeitet und kein Einziger angeklagt. Sie wurden allesamt eingestellt. 2012 waren es 621 Fälle, es gab eine Anklage, die ein Freispruch folgte. 2013 waren es 546 Fälle, fünf kamen vor Gericht, drei endeten mit Freispruch, zwei mit Schuldspruch.

Wenn an den meisten Vorwürfen offenbar nichts dran ist, könnte man meinen, es handle sich um Verleumdungen. Wegen fälschlich behaupteter Misshandlungen gibt es im Jahr aber nur rund 27 Anzeigen, 2013 führte eine davon zu einer Verurteilung.

Das Justizministerium begründet die wenigen Anklagen bei Misshandlungsvorwürfen gegen die Polizei damit, dass in einer großen Anzahl der Fälle bloß geringfügige Verletzungen durch das Anlegen von Handfesseln oder den Einsatz von Pfefferspray eingetreten seien. Der Tatbestand der Misshandlung sei dann nicht erfüllt.

Kommentare