Jeden zweiten Tag kommt es in Wien zu einer Attacke auf Öffi-Mitarbeiter
An einen Dienstag im vergangenen Oktober wird sich Andrej* wohl für den Rest seines Lebens erinnern. Der Tag begann wie jeder andere: "Ich habe die Fahrgäste in der U4 kontrolliert. Unter ihnen war auch ein junger Mann, um die 20 Jahre alt. Er hatte kein Ticket dabei", schildert der 48-Jährige.
In gewohnter Manier wollte Andrej die Daten des Schwarzfahrers aufnehmen. Dieser verlor daraufhin offenbar die Nerven und versuchte zu flüchten. Der 48-Jährige wollte ihn aufhalten, da drehte sich der Mann um, sprang auf seinen E-Scooter und fuhr frontal gegen Andrej.
Gesundheitliche Folgen der Attacke für den Öffi-Mitarbeiter
Auch heute noch, drei Monate nach dem Unfall, hat Andrej mit den Folgen eines Sehnenrisses zu kämpfen. "Ich bin dann zwar gleich operiert worden und war drei Monate zuhause, kann aber meine Hand immer noch nicht gut bewegen. Eventuell brauche ich sogar noch eine Operation, weil der Sehnenriss nicht gut verheilt", schildert der Kontrolleur.
Die Attacke war kein Einzelfall, wie ein Blick auf die Statistik der Wiener Linien zeigt. Gab es im Jahr 2021 noch 154 Übergriffe von Fahrgästen auf Mitarbeiter, wurden im vergangenen Jahr 207 Fälle gemeldet - eine Zunahme von mehr als einem Drittel. Die Übergriffe reichen von Beschimpfungen bis hin zu physischen Angriffen.
1.000 gemeldete Fälle pro Jahr bei ÖBB
Auch bei den ÖBB ist eine klare Tendenz zu erkennen: Die Übergriffe und die Aggressivität der Fahrgäste nehmen zu. Eine konkrete Aufschlüsselung der Zahlen könne man nicht bereitstellen, heißt es von dem Unternehmen auf KURIER-Anfrage.
Nur so viel: "Wir bewegen uns jährlich bei etwa 1.000 Vorfällen im Zusammenhang mit Drohungen und körperlichen Übergriffen", sagt Bernhard Rieder, ein Sprecher der ÖBB. Besonders während der Pandemie seien Mitarbeiter direkt an der Front zwischen Personen mit unterschiedlichen Wünschen und Interessen gewesen, formuliert es Rieder.
Hohe Dunkelziffer von Attacken auf Öffi-Mitarbeiter
Im Gegensatz zu körperlichen Angriffen werden Beschimpfungen nur selten vom Personal angezeigt. Das kann auch Ivo* bestätigen. Der 51-Jährige arbeitet seit 23 Jahren bei den Wiener Linien. 15 Jahre davon war er Buslenker. Wegen Kreuzproblemen musste er den Job aufgeben und wurde Kontrolleur.
"Es passieren viel mehr Sachen, als offiziell gemeldet werden. Wenn man zum Beispiel in einen Streit, der ausartet, involviert ist, kann es sein, dass man die Einvernahme bei der Polizei oder Prozesse vor Gericht in seiner Freizeit abwickeln muss", schildert Ivo. Und das wollen sich viele seiner Kollegen ersparen.
Schraubenzieher-Attacke
Auch Ivo war bereits Opfer von physischen Übergriffen geworden. "Beschimpft bin ich schon oft geworden, auch bespuckt. Ein Kollege von mir konnte zum Beispiel nicht mehr arbeiten, weil ihm ein Fahrgast einen Schraubenzieher in den Hals gerammt hatte", berichtet der 51-Jährige. Auch hier war der Grund des Angriffs, dass der Mann schwarz gefahren war.
Motive für Übergriffe: Maske, Suchtmittel und fehlende Tickets
Neben fehlenden Tickets war vor allem die Maskenpflicht Aufreger in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Laut Wiener Linien gingen ein Drittel der Übergriffe im vergangenen Jahr auf das Maskenthema zurück, auch der Einfluss von Alkohol oder anderen Suchtmitteln sei ein Grund.
"Jeder Angriff ist einer zu viel, wir bringen jeden Fall zur Anzeige, egal ob der Übergriff verbal oder körperlich war", betont Katharina Steinwendtner, Pressesprecherin der Wiener Linien. Man stelle den Tätern durch Krankenstände und Einsatzkräfte entstandene Kosten in Rechnung. Zur Frage, ob die Täter dann auch wirklich zahlen, äußerte sich Steinwendtner nicht.
Das passierte auch im Fall von Andrej. "Ich war nach meiner Operation drei Monate zuhause im Krankenstand. Eigentlich hätte ich noch mehr Zeit gebraucht, mein Arzt hat mir ein halbes Jahr verschrieben. Aber man weiß nie, was dann mit dem Job passiert. Aus Angst, diesen zu verlieren, bin ich dann nach drei Monaten wieder arbeiten gegangen", sagt Andrej.
* Namen von der Redaktion geändert
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