Deutsche Sprache, leichte Sprache

Stammbaum und Hoffnungsträger: Gabriele Andrea Fahn zeigt in einer Wiener Volksschule, wie es geht.
Warum in die Ferne schweifen, wenn bereits erprobte Integrationsmodelle so nahe sind.

Viel war in den vergangenen Tagen von gezielter Sprachförderung vor und nach dem ersten Schultag die Rede. Dabei wurden von der Politik auch eine ganze Reihe von Ideen und Konzepten aufs Tapet gebracht. Es scheint niemand zu wissen, dass die eine oder andere Idee schon seit Jahren in der Praxis angewandt wird. Der KURIER hat einen Kindergarten und eine Volksschule in zwei Wiener sozialen Brennpunkt-Bezirken besucht. Und siehe da, dort werden die alltäglichen Probleme mit viel Engagement und Praxiswissen von engagierten Pädagogen bravourös gelöst.

Früh fördern

In der Wissenschaft gilt Folgendes als unumstritten: Wenn die Kinder schon früh gefördert werden, profitieren sie am meisten. Davon ist auch Siegi Stemer (VP) überzeugt. Er wurde von Bildungsministerin Claudia Schmied (SP) als Berater für den Bereich „frühe Bildung mit den Schwerpunkten Sprachförderung, Bewegung und begleitete Übergänge“ engagiert. Bis März soll er ein Maßnahmenpaket zur Sprachförderung ausarbeiten. „Am besten wäre es, wenn bereits Dreijährige eine Bildungseinrichtung besuchen“, sagt der ehemalige Vorarlberger Landesschulrat Stemer. „Ganz wichtig ist dabei, dass der Kindergarten auch ein partnerschaftliches Verhältnis zu den Eltern hat. Denn nur wenn alle an einem Strang ziehen, kann lernen gelingen.“ Im Kindergarten lernen die Kleinen aber mehr als nur die Sprache: „Hier werden z. B. auch soziale oder motorische Kompetenzen erworben.“

Dilena nimmt eine Giraffe in die Hand und überlegt: Heißt es jetzt der, die oder das Giraffe?“ Dilena ist sich nicht sicher, aber Marco hilft ihr. Er legt das Spielzeugtier auf die rote Decke, auf der alle „die-Wörter“ liegen. „Gut gemacht“, lobt Renate Guldan.

Guldan ist Sprachförderassistentin. Einmal pro Woche ist sie im Kindergarten „Maria Namen der St. Nikolaus-Stiftung“. Der liegt am Gürtel in Wien-Ottakring. Die Mieten sind hier billig, der Migrantenanteil ist hoch. Viele Kinder kommen aus Polen, Ägypten, der Türkei oder Serbien. Manche sprechen ganz passabel Deutsch, andere tun sich schwer. Für diese Kinder ist Renate Guldan da.

Dabei geht bei den meisten das Deutsch lernen so nebenbei. Diese Erfahrung hat Elisabeth Grün gemacht, die „Maria Namen“ leitet. „So richtig bewusst wurde mir das, als ich mit einer Gruppe einen Ausflug in die Stadt gemacht habe. Zuerst fürchtete ich mich davor. Wie soll ich den Kindern sagen, wo sie sich setzen sollen? Wie ihnen mitteilen, dass wir aussteigen?“ Doch bald merkte sie: „Die Kinder verstehen schnell. Und die, die es nicht gleich kapieren, denen wurde es von anderen erklärt.“

Zwei Jahre Pflicht

Weil die Kinder in jungen Jahren so leicht lernen, sollten sie schon sehr früh in den Kindergarten – und nicht erst verpflichtend mit fünf Jahren, wie derzeit. „Zwei Jahre Kindergarten für alle“ fordert Susanna Haas, pädagogische Leiterin der St.-Nikolaus-Stiftung, die derzeit 76 Standorte in Wien betreut. Um die Kleinsten optimal zu fördern, ist aber mehr nötig als nur die Kindergartenpflicht: „Wir brauchen gut ausgebildete Elementarpädagogen. Am besten wäre es, wenn alle an der Pädagogischen Hochschule ausgebildet würden. Zusätzliches Förderpersonal wünschen wir uns ebenfalls. Nicht nur Sprachlehrer, sondern auch Sonderpädagogen, Psychologen oder Logopäden fehlen in den Kindergärten.“

Dabei haben es die Pfarrkindergärten noch gut: „Wir haben für 15 Kindergärten vier Sprachförderpädagogen wie Renate Guldan.“ Weiters auf Haas’ Wunschzettel: „Mehr Personal. Derzeit betreuen eine Pädagogin und eine Assistentin 25 Kinder.“

Angenommen sein

Obwohl die Gruppen groß sind, fühlen sich die Buben und Mädchen im Ottakringer Kindergarten wohl. Und offensichtlich nicht nur sie. „Auch die Eltern sind sehr denkbar – und zwar für Selbstverständliches“, sagt Leiterin Grün.

Klassische Elternabende gibt es hier nicht – „da würden mich die wenigsten verstehen“, sagt Grün. Stattdessen trifft sie sich zu Einzelgespräche mit Eltern: „So fühlen sich Kinder und Eltern gleichermaßen angenommen. Wenn sie sich wohl fühlen, kommen die Kinder gerne und regelmäßig, was sehr wichtig ist. Das zeigt meine Erfahrung. Wenn ein Kind nur sporadisch kommt, ist es schwierig auf es einzugehen – es lernt dann nicht so viel.“

Gut, dass die Haare über den Augen im Deutschen Augenbrauen genannt werden, das wollte den Kindern nicht sofort einleuchten. Doch mit einigen Kniffen hat ihnen ihre Lehrerin auch dieses Wort näher gebracht. Und weil sie dabei viel Spaß hatten, werden sie jetzt die Augenbrauen nicht so schnell vergessen. Weder im Deutschen noch in der Sprache, die sie zu Hause gelernt haben. Gabriele Andrea Fahn lächelt. Ist zufrieden. Ihre Spezialaufgabe ist es, den Schülern einer Volksschule in Wien-Brigittenau Deutsch zu lernen, dabei aber auch die Sprache der Eltern nicht aus den Augen zu verlieren.

Talente entfalten

Die Aufgabe ist gewiss nicht einfach. Die Statistik der Schmetterlingsschule in der Greiseneckergasse 29, in der laut Schulslogan die Talente der Kinder entfaltet werden, ist pure Realität: 369 Volksschüler, davon nur 16 Kinder mit Deutsch als Erstsprache.

Doch, ups! Noch bevor man hier versucht ist, den Untergang des Abendlandes herbeizufürchten, erklärt Direktorin Ilse Riesinger relativ entspannt: „Halb so schlimm. Wir können fast allen Kindern binnen weniger Monate Deutsch beibringen.“

Und das nicht erst seit man in Österreich ein eigenes Integrationsstaatssekretariat erfunden hat. Seit zehn Jahren schon sind an ihrer Schule Sprachförder-Lehrer wie Gabriele Andrea Fahn am Werk – und ein Garant für Erfolge, Schritt für Schritt.

Rund 40 Schmetterlinge flattern in diesem Schuljahr in einer der beiden Vorschulklassen. Diese Klassen wurden eingerichtet, um Kinder, die beim Eignungstest noch nicht fit für die Schule sind und die deutsche Sprache nicht beherrschen, gezielt vorzubereiten. Eine wichtige Einrichtung, wie sich die Pädagogen hier einig sind.

Probleme lösen

Natürlich gibt es auch in dieser Volksschule ganz offensichtlich soziale und schulische Härten: Wenn wieder einmal Eltern aus einem fernen anatolischen Bergdorf Ende August in Österreich ankommen und am ersten Schultag mit ihren Kindern in der Direktion stehen. Oder wenn ein Bub, im Lehrerdeutsch auch „Seiteneinsteiger“ genannt, vorgestern noch in eine Grundschule in Bulgarien gegangen ist und heute in der 4B einer fremden Lehrerin folgen soll.

„Doch selbst da schaffen es die meisten Kinder, gemeinsam mit meinen Lehrern binnen kürzester Zeit die Sprache zu lernen“, freut sich Direktorin Riesinger.

Die Seiteneinsteiger sind in der Brigittenau kein Randphänomen, weiß der zuständige Bezirksinspektor Walter Gusterer. Und dennoch wirken seine beiden Mitarbeiterinnen in der Schmetterlingsschule nicht entmutigt.

„Es ist schön, wenn man sieht, dass man den Kindern etwas beibringen kann“, sagt Lehrerin Fahn. „Der tägliche Umgang mit so vielen verschiedenen Kulturen hat auch mein Leben bereichert“, findet die Schulleiterin ein ermutigendes Schlusswort.

Kindergartenjahr: Seit 2010 müssen alle Fünfjährigen in den Kindergarten. In diesem Jahr sollen sprachliche, motorische und soziale Defizite ausgeglichen werden.

Vorschuljahr: Staatssekretär Sebastian Kurz (VP) will, dass Kinder, die schlecht Deutsch können, in ein Vorschuljahr müssen. Experten sehen den Vorschlag kritisch – das sei diskriminierend, meint Sprachwissenschaftler Rudolf de Cillia. Bildungswissenschaftler befürworten stattdessen ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr. In Wien gibt es die meisten Kinder mit Sprachdefiziten. Bürgermeister Michael Häupl favorisiert die Vorschule. Grund dürfte wohl sein, dass Kindergärten vom Land und Schulen vom Bund finanziert werden.

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