Eigentlich geht Eva Hampel hier ja gar nicht mehr. Auf den überlaufenen Innenstadt-Straßen. „Jedenfalls untertags. Vor allem in der Vorweihnachtszeit.“
Als Anrainerin ist das eine Herausforderung. Aber sie hat sich ihre Schleichwege gesucht. An diesem Vorweihnachtsnachmittag macht die 51-Jährige, die (mit kleinen Unterbrechungen) seit 1989 im 1. Bezirk lebt, für den KURIER eine Ausnahme.
Neben ihr: Gerti Schmidt, seit 1992 Fremdenführerin und aktuell auch Obfrau dieser Berufsgruppe in der Wirtschaftskammer Wien.
Die beiden sind Diskussionspartnerinnen, die stellvertretend für zwei Seiten eines Dilemmas stehen. Auf der einen Seite: All jene, die rund um die Touristen-Hotspots wohnen – und von den Gästen genervt sind. Auf der anderen: Fremdenführer, Hoteliers und Gastronomen – die von den Gästen leben.
Doch wer hat nun Recht? Und wie – wenn überhaupt – lassen sich diese Interessen in Einklang bringen?
Fakt ist: Allen voran die Bewohner des 1. Bezirks haben langsam genug von den Wien-Besuchern. In der großen KURIER-Bezirksumfrage gaben 65 Prozent der Teilnehmer an, dass ihnen eine Begrenzung der Touristenströme „sehr wichtig“ wäre. In keinem anderen der Innenstadt-Bezirke war die Zustimmung derart hoch (siehe Grafik).
Alles im Zentrum
Das mag auch daran liegen, dass im 1. Bezirk alles zusammenkommt: Sehenswürdigkeiten, Einkaufsmöglichkeiten, Übernachtungsgelegenheiten. Was das im Alltag bedeutet, das erlebt Innenstadt-Bewohnerin Eva Hampel jeden Tag.
In der schmalen Schottengasse kommen ihr und Fremdenführerin Schmidt dann so viele Menschen entgegen, dass sie nicht nebeneinander gehen können. „Wenn du nach dem Einkaufen mit Taschen hier (bzw. am Fleischmarkt, wo sie wohnt und es ähnlich eng ist) raufgehst und dann kommt dir noch ein Radfahrer entgegen – das ist schon wirklich mühsam.“
Aber sie müsse doch einkaufen gehen, sie wohne schließlich hier: „Sonst wird das so wie in der Piefke-Saga, dass jemand bezahlt werden muss, um hier zu wohnen und sich als typischer Wiener zu verkleiden (im Fall des TV-Vierteilers Piefke-Saga aus den 90ern waren es Tiroler, Anm.).“
Die Statistik gibt Hampel recht: Tatsächlich geht die Zahl der City-Bewohner seit Jahren kontinuierlich zurück. Derzeit hält sie bei rund 16.000 Innenstädtern. Zum Vergleich: Anfang der 50er-Jahre waren es mit rund 35.000 Einwohnern noch mehr als doppelt so viele.
Geschäftszentrum
Dass der Tourismus schuld am „Aussterben der Inneren Stadt“ sei, möchte der WienTourismus-Chef Norbert Kettner nicht so stehen lassen: „Die 20.000-Einwohner-Schwelle wurde bereits Anfang der 80er unterschritten, als der Tourismus bei Weitem noch nicht so entwickelt war.“
Es gebe auch andere Faktoren. Der 1. Bezirk sei, wie in anderen Städten auch, zum Geschäftszentrum geworden. „Mehr als 100.000 Personen sind hier beschäftigt.“ So viele wie in keinem anderen Stadtteil.
Neue Strategie
Aber natürlich, lenkt Kettner ein: Der WienTourismus sei gefordert und nehme diese Aufgabe ernst. Die neuen Ziele wurden in der Tourismusstrategie 2025 präsentiert: Es gibt kein neues Nächtigungsziel mehr.
Stattdessen soll nur der Umsatz steigen, die Zufriedenheit der Wienerinnen und Wiener nicht sinken und für Wiederkehrer (immerhin jeder Zweite) sollen mehr Angebote außerhalb des 1. Bezirks geschaffen werden.
Dass sich Urlauber aber nicht so leicht von neuen Orten überzeugen lassen, weiß Gerti Schmidt aber aus leidvoller Erfahrung: „Selbst Gruppen, die anfangs sehr aufgeschlossen sind – was suchen sie sich am Ende aus? Hofburg, Ringstraße, Kaiserappartements.“
Was jedenfalls nicht zu unterschätzen ist: Der Tourismus ist ein Wirtschaftsfaktor. Für den Wohlstand der Stadt ist er essenziell, wie die Zahlen zeigen. Aktuell gibt es in Wien 90.000 Arbeitsplätze in der Tourismusbranche – sie lukriert vier Milliarden Euro Wertschöpfung.
Es ist auch dem Tourismus zu verdanken, dass Wien die beliebteste Shopping-Destination Österreichs ist. 63 Prozent aller Shopping-Umsätze wurden laut Mehrwertsteuer-Rückerstatter „Global Blue“ vergangenes Jahr in der Bundeshauptstadt getätigt.
Ignorante Gruppen
Am meisten ärgern Eva Hampel große Gruppen. „Die sich durch den Kohlmarkt und den Graben wälzen, nichts sehen, nur aufs Handy starren. Die Tagestouristen, von den Schiffen.“
Ob sie wüsste, wie hoch der Anteil der Kreuzfahrttouristen ist, will Gerti Schmidt wissen. Eva Hampel schüttelt den Kopf. „Fünf Prozent.“ – „Ja, aber die sind alle hier.“ Gerti Schmidt muss nicken. Man sei aber schon in Kontakt mit den Reedereien, auch der WienTourismus. „Wir versuchen, die Gruppen zu steuern, damit nicht alle zur gleichen Zeit die gleichen Routen gehen.“
Aber auch die heimischen Fremdenführer könnten sich verbessern, meint Gerti Schmidt selbstkritisch. „Viele Kollegen sind nachlässig gegenüber anderen Personen im öffentlichen Raum. Wir sprechen das vermehrt an. Sagen: ,Bitte, überlegt euch, wo ihr euch hinstellt, wie ihr euch hinstellt, mit wie vielen Leuten.’ Damit kann man viel steuern.“ Eva Hampel nickt, das findet sie gut.
Schlange stehen
Die Spaziergängerinnen sind beim Café Central angelangt. Obwohl es nur wenige Grad über null hat, stehen Menschen in einer langen Schlange an, die in einem Bogen in die Strauchgasse führt. „Das ist mein ätzendster Hotspot“, sagt Gerti Schmidt. Eva Hampel sieht die Fremdenführerin überrascht an: „Meiner auch.“
Nachdem sie bis zum Stephansplatz gegangen sind und über Mozartkäufer („Das wird mit dem neuen Gebrauchsabgabengesetz besser werden“, verspricht Schmidt) bis Faxis („Hässliche Plastiktopferl“, sagt Hampel über die Rikschas) diskutiert haben, haben sie Gusto auf einen Kaffee. Diglas am Fleischmarkt? Einverstanden.
Der schnellste Weg dorthin? Natürlich über kleine Schleichwege. Die, verspricht Gerti Schmidt bei dem gemeinsamen Getränk, werde sie den Urlaubern weiterhin nicht verraten.
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