In Wien residieren 8000 Spione

Die amerikanische Botschaft steht unter Generalverdacht.
Diplomaten in Geheimdienst-Diensten; auch Österreich wird ausgespäht.

Ein offizieller Verfassungsschutzbericht hält fest, dass nachrichtendienstliche Aktivitäten fremder Staaten für die Republik Österreich eine Gefährdung der Souveränität darstellen. Angesichts jüngster Enthüllungen fürchten sich alle nun vor der US-amerikanischen NSA und CIA. Doch die sind nur ein Teil des Problems. Die Hälfte der gesamten in Wien akkreditierten Diplomaten steht unter Verdacht, für Geheimdienste zu arbeiten.

Wien blieb auch nach dem Ende des Kalten Krieges eine Spionage-Welthauptstadt. 17.000 Diplomaten sind hier akkreditiert. Nach Auffassung des Grazer Universitätsprofessors Siegfried Beer üben davon bis zu 8000 Diplomaten illegale Geheimdienstaktivitäten aus.

Laut Verfassungsschutz bespitzeln sie sich nicht nur gegenseitig, sondern spionieren auch gegen Österreich. Ausspähungsziele: Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Forschung, Verteidigungspolitik sowie Energiewirtschaft.

Ein wesentlicher Grund für die weltweite Exklusivstellung als Spionagezentrale soll laut Verfassungsschutz neben den zahlreichen hier ansässigen internationalen Organisationen vor allem die laxe Rechtslage sein. Einem Spion drohen maximal drei Jahre Haft.

An eine wirkungsvolle Spionageabwehr ist angesichts der eingeschränkten rechtlichen Mittel in Österreich nicht zu denken. Max Edelbacher, früherer Chef des Wiener Sicherheitsbüros, vermutet als Gründe dafür im Buch des Geheimdienstexperten Emil Bobi (Bericht unten) die Gründe zu kennen: "Sie nehmen das halt in Kauf, um Wien als diplomatische Drehscheibe aufrechtzuerhalten. Das hat auch ökonomische Effekte." Tatsächlich würde die Ausweisung des halben Diplomatenkorps vermutlich auch den Rückzug einiger Organisationen bedeuten.

Russen

Während sich die Bundesregierung nun in der NSA-Affäre eine diplomatische Kontroverse mit den Amerikanern liefert, machen die Russen völlig ungestört weiter. So versuchte ein russischer Attache, einen österreichischen Unteroffizier anzuwerben. Die Sache flog auf, der Unteroffizier flog aus der Armee. Der Attache darf bleiben, und muss sich einen neuen Agenten suchen. Übrigens: Jener Unteroffizier, der mit seinen dienstlichen Kontakten zum deutschen Eurocopter-Hersteller einem Schwager des russischen Präsidenten Wladimir Putin behilflich war, den Kampfhubschrauber Tiger auszuspionieren, macht wieder Dienst beim Heer. Denn die deutsche Justiz war so freundlich, dem kooperativen Spion nur zwölf Monate bedingt aufzubrummen – gerade soviel, dass er in Österreich seine Pragmatisierung nicht verliert. Der russische Hauptverdächtige war trotz eines deutschen Haftbefehls von der österreichischen Justiz gleich nach der Verhaftung wieder auf freien Fuß gesetzt worden.

Liegt die Zusammenballung von Geheimagenten in Wien an der geostrategischen Lage? Oder an den laxen Gesetzen, die das Spionieren gegen die anderen EU-Staaten straffrei stellen?

Der Geheimdienstexperte Emil Bobi hat die Geheimdienstgeschichte der 2. Republik aufgerollt. Er hat Gespräche mit Polizisten, Staatspolizisten, Politikern und einigen Geheimagenten geführt. Und er ortet in seinem Buch „Die Schattenstadt“ viel tiefere Ursachen für das Phänomen: Nämlich der Wiener und sein Wesen.

In Wien residieren 8000 Spione
Emil Bobi

Das Buch ist ein Psychogramm dieses Wieners. Einer Stadt, wo der Bürger immer von einer Obrigkeit beherrscht war. Wo es nie eine richtige Revolution gegeben hat. Wo sich der Bürger in ständiger Konspiration den Unbill von oben entzogen hat. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass nach dem Fall des Eisernen Vorhangs alleine in den Akten der kommunistisch-tschechischen Staatssicherheit gleich 12.000 Namen von Wiener Zuträgern gefunden wurden. Diese Privat-Agenten brachten zwar meist nur belanglose Informationen. Doch sie profitierten an den Honoraren ebenso wie die tschechischen Geheimagenten, die daran beteiligt waren.

Hauptdrehscheibe

Eine Hauptdrehscheibe für erstzunehmende Aktivitäten war der Flughafen Wien. In den Transitbereich konnte man mit Diplomatenpass hinein, auch wenn man über kein Flugticket verfügte. Heikle Sachen wurden daher genau dort übergeben.

Der frühere Flughafen-Polizeichef Alfred „Django“ Rupf plaudert aus der Schule: „Wenn eine Maschine aus Moskau gekommen ist, sind die ganzen westlichen Geheimdienste draußen gesessen und haben geschaut und fotografiert, wer da kommt.“ Übergeben wurden die Mikrofilme meistens am Klo. Das erklärt auch, warum im Jahr 2010 die Spionin Anna Chapman mit neun weiteren in den USA enttarnten Russen-Spionen in Wien gegen vier in Russland verurteilte US-Spione ausgetauscht wurde – weil man sich auskennt in Wien.

Was Wien auch aus Sicht der Geheimdienste auszeichnet, ist die freundliche Haltung bei Problemfällen. So verfolgt Bobi die Spur des früheren DDR-Auslandsgeheimdienstchefs Markus Wolf über Moskau nach Wien. 1991 kam er nach Wien. Und das, obwohl er fürchten musste, verhaftet zu werden, wie er später in einem Interview erklärte. Denn sein Geheimdienst hat sich in Österreich nicht fein benommen. Er wurde aber von der Staatspolizei nur freundlich befragt. Verhaftet wurde er erst nach der Einreise in Deutschland.

Ähnlich erging es dem früheren KGB-Offizier Michail Golowatow, der in Litauen wegen eines Gewaltexzesses per europäischem Haftbefehl gesucht wurde. Ein etwas „übereifriger“ Grenzpolizist in Wien hatte ihn zwar bei der Einreise festgenommen, aber er durfte bald wieder die Heimreise antreten.

Doppelagent

Als typisch österreichisches Schicksal kommt der frühere Wiener Bürgermeister Helmut Zilk im Buch noch einmal zu Ehren. Er soll für die kommunistischen Tschechen spioniert haben. Wobei die Fachwelt wundert, dass die Enttarnung erst nach seinem Tod erfolgt ist. Der Historiker Philipp Lesiak hat dazu folgende These: „Die österreichische Staatspolizei wusste schon sehr früh über Zilk Bescheid. Die haben nichts gemacht, entweder weil zu wenig Substanz da war, oder weil Zilk Doppelspion war.“ Er hat in der Naglergasse 2 gewohnt, wo auch die US-Botschaft Wohnungen für Agenten gemietet hatte.

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