"In Bewegung bleiben, sonst erfrierst du"

Suppenausgabe im Notquartier der Johanniter im ehemaligen Publizistik-Institut in der Schopenhauerstraße.
Die Notschlafstellen für Obdachlose sind voll. Stadt Wien schafft bis zu 140 zusätzliche Plätze.

Jack trägt zwei Hosen, ein T-Shirt und zwei Pullover. Darüber eine Jacke und eine Haube auf dem Kopf. Der 47-Jährige steht Dienstagabend gemeinsam mit 15 anderen im Windfang des ehemaligen Publizistik-Instituts in der Schopenhauerstraße in Wien-Währing. Es ist kurz nach 17.45 Uhr. Eine knappe viertel Stunde muss er noch bei minus neun Grad ausharren, dann öffnet die Notschlafstelle der Johanniter in der bisher kältesten Nacht dieses Winters ihre Pforten.

"In Bewegung bleiben, sonst erfrierst du"
Schlafstelle für Obdachlose, Wien am 10.01.2016
Anfang November des Vorjahres funktionierten die Johanniter ihr ehemaliges Flüchtlingsquartier zu einem Notquartier für Obdachlose um. Jedes Jahr im Herbst schnürt der Fonds SoSoziales Wien sein "Winterpaket". Ab Anfang November öffnen dann nach und nach Notschlafstellen verschiedener NGOs und der Stadt ihre Türen – je nachdem wie viel Bedarf besteht. Heuer stehen erstmals 1000 Betten für die Obdachlosen in den Notschlafstellen bereit. Das ist der bisherige Höchstwert. Zum Vergleich: Im Winter 2012/13 gab es 600 Betten in Notquartieren.

140 Betten mehr

Wegen des Kälteeinbruchs stockte der Fonds Soziales Wien am Dienstag seine Betten-Kapazität noch zusätzlich auf. Am Mittwochabend stellten das Wiener Rote Kreuz und der Arbeitersamariterbund jeweils 20 zusätzliche Plätze in den Notschlafstellen zur Verfügung. In den nächsten Tagen sollen bis zu 100 weitere Betten in ganz Wien dazukommen.

In die Notschlafstelle in der Schopenhauerstraße kommen viele Obdachlose aus dem EU-Ausland. Ungarn, Slowaken, Rumänen, auch Deutsche. Österreicher sind nur wenige darunter.

"In Bewegung bleiben, sonst erfrierst du"
Schlafstelle für Obdachlose, Wien am 10.01.2016
Jack ist zum ersten Mal in seinem Leben obdachlos. Elf Jahre hat der gebürtige Ungar in Österreich als Informatiker gearbeitet. Dann kam der Bruch im Leben: Jack verlor seinen Job, dann die Wohnung, seit Dezember steht er auf der Straße.

Pünktlich zur Kältewelle ist er erstmals in seinem Leben auf eine Notunterkunft angewiesen. Bei den Johannitern bekommt Jack abends eine warme Suppe und zwei Semmeln, dazu gibt es Tee oder Wasser. Weil Jack einer der ersten in der Unterkunft war, kommt er auch noch in den Genuss eines Döners: Hüseyn Tanis vom Dönerladen am Kutschkermarkt kommt fast jeden Abend vorbei und bringt etwa 15 Döner und Dürüms. "Wenn es so kalt ist, muss man helfen", sagt Tanis.

Jack verspeist seinen Döner nicht gleich nach der Suppe. "Ich muss mir das Essen einteilen", sagt er. Stattdessen trinkt er eine Tasse Tee mit mit einem Esslöffel Zucker. "Wegen der Kalorien", sagt er.

In Bewegung bleiben

Nur eine Stunde hat der 47-Jährige in der Nacht auf Mittwoch geschlafen. "Ich habe so vieles im Kopf", sagt er. Seine Frau lebe in Ungarn mit seinem Sohn Patrik, der vor zwei Wochen zur Welt kam. Jack hat ihn noch nie gesehen, weil er keine Arbeit findet und sich die Fahrt nach Ungarn nicht leisten kann. "Das ist hart", sagt er. Beim Frühstück fehlt ihm der Appetit. Stattdessen trinkt er einen Kaffee – wieder mit einem Esslöffel Zucker.

"In Bewegung bleiben, sonst erfrierst du"
Schlafstelle für Obdachlose, Wien am 10.01.2016
Wie er die kalten Tage verbringt? "Am Vormittag gehe ich zirka eine Stunde spazieren, dann wird es zu kalt." In Einkaufszentren versucht er sich aufzuwärmen; zu Mittag isst er in der Gruft.

Am Nachmittag dasselbe Spiel: Spazierengehen, aufwärmen. "Du musst immer in Bewegung bleiben", sagt Jack. "Sonst erfrierst du."

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