Mutter erstochen: "Ich wollte ein Publikum haben"
In der Comic-Welt der Anime ist Tobi ein mutierter Mensch, dessen Körper hohl ist. Seine Hülle stellt er anderen als Rüstung zur Verfügung. Er trägt eine spiralförmige Maske mit nur einer Augenöffnung. Das Auslöschen von menschlichem Leben empfindet er als Befreiung.
Tobi – das wollte offenbar auch Fabian N. sein; der mittlerweile 17-jährige Bursche, der am 21. März in der Wohnung in Wien-Penzing seine Mutter durch 21 Messerstiche getötet haben soll.
Drei Ringe
Während der Tat soll er drei Ringe getragen haben. Darunter jenen der Anime-Figur Tobi. "Der Ring hat für mich deshalb eine große Bedeutung, da er für mich symbolisiert, dass gewisse Dinge getan werden müssen", gab er bei der Einvernahme (das Protokoll liegt dem KURIER vor, Anm.) an. Auch die beiden anderen Ringe stammen aus der japanischen Anime-Welt. Der Ring von Itachi etwa, der in der Fantasiewelt einer Spezialeinheit angehört. Und den Ring von Pain. "Er symbolisiert, dass man lebt um zu leiden", erklärte Fabian.
"Ich wollte mit Stil gehen", sagte er. Und für den Moment, wenn die Spezialeinheit WEGA die Wohnung stürmt – da soll er geplant haben, sich das Messer selbst in den Körper zu rammen. "Ich wollte ein Publikum haben."
Daraus wurde nichts. Denn die Rettung kam vor der Polizei. "Das zerstörte meine Vorstellung", sagte er laut Protokoll. Ein Sanitäter forderte ihn außerdem auf: "Gib’ die Maske runter." Dann drehte er sich um und verließ die Wohnung. Also legte der verblüffte Jugendliche die Maske und den Mantel wieder ab. Als die WEGA an der Tür klopfte, öffnete Fabian und ließ sich widerstandslos festnehmen.
Bundesheer
Fabian N. schmiss im Alter von 16 Jahren die Schule. Er wollte zum Bundesheer gehen – eine Woche nach der Tat hätte er dort einen Termin gehabt. Um trainiert zu sein, ging er Laufen und Boxen. Doch immer häufiger dürfte er sich lieber in seiner Anime-Welt verloren haben.
Das führte oft zu Streit mit seiner Mutter. "Seit drei oder vier Monaten denke ich fast jeden Abend kurz vor dem Einschlafen darüber nach, meine Mutter umzubringen", erklärte er den Ermittlern. Er habe auch darüber nachgedacht, fremde Menschen auf der Straße zu töten. Das habe er aber "nicht übers Herz gebracht. Das hätte ich letztendlich nicht geschafft."
Sabine N., 42, arbeitete als Behindertenbetreuerin. Am Tag der Tat war sie bereits arbeiten, als Fabian aufwachte. Der Bursche sollte zum Abendessen Palatschinken für sich und seine Mutter machen. Doch das vergaß er – er schaute sich lieber eine Anime-Folge im Internet an.
Als Sabine N. nach Hause kam, machte sie ihrem Sohn deshalb Vorwürfe und versteckte den WLAN-Router. Fabian solle die Wohnung verlassen, zum Vater gehen. Er habe eine Stunde Zeit, seine Sachen zu packen.
Fabian packte. Und malte in seinem Kinderzimmer ein Bild. Darauf zu sehen: Seine Mutter, sein Vater und er. Seine Mutter malte er blutüberströmt. Sich selbst zeichnete er mit einem Messer in der Hand und mit dem Gesicht des Jokers aus den Batman-Filmen – mit einem breiten, gruseligen Grinsen.
Eine Stunde später war Sabine N. tot.
Persönlichkeitsstörung
"Es müssen erhebliche Persönlichkeitsstörungen vorliegen", sagt Fabians Anwalt Michl Münzker. "Um welche genau es sich dabei handelt und wie schwer diese sind, muss nun die Sachverständige klären."
Wie berichtet, wurde Kinder- und Jugendpsychiaterin Gabriele Wörgötter als Sachverständige ausgewählt. Die Wiener Staatsanwaltschaft erhofft sich, dass die Expertise binnen sechs Wochen vorliegt. Davon wird abhängen, ob sich der 17-Jährige wegen Mordes vor Geschworenen verantworten muss oder – sollte sich erweisen, dass er nicht zurechnungsfähig war – die Anklagebehörde seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher beantragen wird. Gestern wurde die U-Haft für Fabian N. verlängert.
KURIER: Herr Dr. Vavrik, wie leicht können Kinder und Jugendliche in eine Scheinwelt abdriften?
Vavrik: Das Angebot, solche Filme und Serien zu schauen, haben ja viele Jugendliche. Das Abgleiten passiert eher, desto mehr Persönlichkeitsprobleme vorhanden sind, eine Traumatisierung in der Biografie oder ein dissonantes Elternhaus vorherrschen. Dann kann es schon sein, dass der Betroffene in eine Parallelwelt abgleitet und seinen Idolen nacheifert, die mächtig und bedeutsam sind.
Fabian lebte bei seiner Mutter, hat die Schule abgebrochen, es gab Auseinandersetzungen.
Es ist schwierig, da zu spekulieren. Das kann bis ins Kindergartenalter zurückreichen. Aber so etwas passiert, wenn der Betroffene das Gefühl hat, aus der Realität fliehen zu wollen, zu müssen. Je früher das erkannt wird, desto besser.
Fabians Mutter hat selbst Jugendliche betreut – hätte sie das erkennen können?
Ohne Intervention ist das schwierig. Das Problem ist ja auch, dass es zu wenig Kinderpsychiater gibt. Nach derartigen Vorfällen fallen dann alle aus allen Wolken. Aber es ist kein Wunder, dass so etwas nicht erkannt worden ist.
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