Der grobe Holzboden, die abgerundeten Ecken und Kanten der Wände, die kleinen Fenster: Wer bei Sonja Schak zu Gast ist, kommt sich wie in einem alten Bauernhaus vor.
Nur der Blick aus dem Fenster verrät, dass man sich mitten in der Stadt befindet. Und die Menschentrauben unten auf der Straße deuten darauf hin, dass es sich hier um eine der beliebtesten Sehenswürdigkeiten der Stadt handelt: das Hundertwasserhaus im dritten Bezirk.
Mit dem 30. Geburtstag des nahen „Kunst Haus Wien“, das ebenfalls von Friedensreich Hundertwasser gestaltet wurde, geraten die Spuren, die der extravagante Künstler im Stadtbild hinterlassen hat, wieder stärker ins Blickfeld. Etwa die Müllverbrennungsanlage Spittelau, vor allem aber das neunstöckige Wohnhaus in der Landstraßer Kegelgasse, das 1985 fertiggestellt wurde.
Hier hat Hundertwasser seine Ideen von einem „menschenwürdigen Wohnen“ umgesetzt. Das Credo des Malers: Die Einförmigkeit moderner Wohnbauten ist schädlich für den Menschen.
Von Einförmigkeit ist im Hundertwasserhaus tatsächlich nichts zu finden. Das beginnt bei der berühmten bunten Fassade, die sich auf zahlreichen Postkarten findet. Der Sinn dahinter: Jedes farbige Feld markiert die Umrisse der Wohnung dahinter. So ist jede auch von außen unverwechselbar. Gleiches gilt für die Gänge mit ihren gewölbten Böden und gewellten Wänden – und den Flächen, die die Kinder bemalen dürfen. Berühmt sind auch die „Baummieter“ einzelner Wohnungen, die auf kleinen Balkonen die Fassade entlangwachsen.
Zunächst skeptisch
Als das Hundertwasserhaus errichtet wurde, konnte Sonja Schak mit alldem zunächst nur wenig anfangen. „,Wie kann man so etwas Hässliches nur bewilligen?‘, dachte ich mir damals. Mein späterer Mann hat mir dann aber erzählt, dass man noch Durchschnittsbürger als Mieter sucht.“ Der Hintergrund: Da das Projekt sehr angefeindet war, wollte man tunlichst vermeiden, dass Prominente oder gar Politiker in das Haus einziehen.
Schak begann sich mit den Ideen Hundertwassers auseinanderzusetzen und zog schließlich – als damals knapp 30-Jährige – in die Zweizimmerwohnung mit 64 Quadratmetern ein, bei der es sich um eine klassische Gemeindebau-Wohnung handelte.
Zwar sind Fassade, Gänge und Gemeinschaftsflächen unkonventionell gestaltet, bei den 52 Wohnungen selbst wurden aber strikt die Grundrisse der damals üblichen Gemeindewohnungen eingehalten. Das kam bei vielen der Erstmieter, viele davon Kreative und Akademiker, nicht besonders gut an. „Die Wohnungen waren zu klein für großzügige Bücherregale oder Schreibtische. Es gab auch kaum Fahrrad-Abstellplätze. Deshalb gab es am Anfang eine große Mieter-Fluktuation“, erinnert sich Schak, die an einer HTL Mathematik unterrichtet. Sie selbst hatte hier nie Platzprobleme, obwohl sie in der kleinen Wohnung viele Jahre gemeinsam mit ihrem Mann und den beiden Kindern lebte.
Schak schätzt nicht zuletzt die liebevoll gestalteten Eingangsbereiche und Gänge. „In anderen Häusern will man möglichst schnell vom Haustor zur Wohnung. Hier ist es anders, und man bleibt oft etwas länger stehen, um mit Nachbarn zu plaudern.“
Weniger angenehme Begleiterscheinungen bringt der Umstand mit sich, in einer Sehenswürdigkeit zu leben. „Vor der Pandemie kamen bis zu 1.000 Touristen am Tag. Da ist es schon sehr laut“, erzählt die Lehrerin.
Vor allem in den ersten Jahren wurde man immer wieder von ungebetenen Gästen überrascht, die bis in die Wohnungen hinein wollten. „Darunter auch Einheimische, die wissen wollten, was hier mit ihrem Steuergeld passiert.“ Schak erzählt aber auch von dreisten Souvenirjägern, die die teuren Holzkugeln an den Geländern mitgehen lassen oder von Chinesen, die im Innenhof ihre Notdurft verrichten.
Gegen allzu aufdringliche Touristen haben findige Mieter ein Mittel gefunden. Wagen sich welche in die Anlage, wird hinter ihnen manchmal das Tor versperrt. „Dann bekommen sie Angst, ihren Bus zu versäumen. Das hat sich mittlerweile unter den Touristen herumgesprochen“, sagt Schack schmunzelnd.
Bügelgruppen
Inzwischen gibt es nicht mehr allzu viele Mieter, die wie sie (fast) vom Anfang an im Hundertwasserhaus leben. „Man kennt einander, obwohl das Haus sehr groß ist. Früher war die Gemeinschaft aber noch enger: Man hat gemeinsam gebügelt. Manchmal klopfte ein Nachbar an der Tür und fragte nach Schmutzwäsche zum Mitwaschen. Es liegt aber wohl eher an der Zeit als am Haus, dass die Bindungen nicht mehr so eng sind.“ Ausziehen will sie dennoch nicht: „Ich möchte hier alt werden.“
Der Künstler
Friedensreich Hundertwasser (eigentlich Friedrich Stowasser, 1928 bis 2000) war ein Maler und Grafiker. Bekannt wurde er aber vor allem für seine architektonischen Arbeiten im In- und Ausland, die stark von den Bauten von Antoni Gaudi inspiriert sind. Allen gemein sind Hundertwassers Grundprinzipien: Die Ablehnung der geraden Linie und die enge Einbeziehung der Natur. Hundertwasser war auch politisch aktiv, etwa im Kampf für die Hainburger Au
Das Haus
Schon 1977 regte Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) an, Hundertwasser in Wien ein Haus errichten zu lassen. Es folgte eine langwierige Suche nach dem passenden Grundstück sowie aufreibende Konflikte zwischen Hundertwasser und dem ihm beigestellten Architekten Josef Krawina. Die Errichtung des Hauses erfolgte schließlich 1983 bis 1985 in der Kegelgasse (Landstraße). Es entstanden 52 Wohnungen. In der Anlage wurden zudem 250 Bäume und Sträucher gepflanzt
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