Ein Deja-vu dürften einige hundert türkischstämmige Wiener in den vergangenen Wochen gehabt haben. Wie schon 2017 und 2018 erhielten sie unerfreuliche Post von der Behörde - sprich: die Aufforderung, "ihre persönlichen Verhältnisse offenzulegen".
Denn bei der MA35 (Einwanderung und Staatsbürgerschaft) meint man beweisen zu können, dass es sich bei ihnen um illegale österreichisch-türkische Doppelstaatsbürger handelt. So das stimmt, droht den Betreffenden der Entzug des österreichischen Reisepasses.
Die Wahrscheinlichkeit, dass das passiert, ist ziemlich groß. Denn im Gegensatz zum ersten Feststellungsverfahren der MA35 dürfte die Datenquelle dieses Mal nur schwer anfechtbar sein.
Kein Erfolg mit FPÖ-Liste
2017 berief sich die Behörde nämlich auf eine angebliche türkische Wählerevidenzliste, die die FPÖ dem Innenministerium und den Bundesländern zur Verfügung gestellt hatte. Rund 18.500 potenzielle Verdachtsfälle ließen sich allein in Wien daraus ableiten. Doch der Verfassungsgerichtshof (VfGH) sah in der FPÖ-Liste von fragwürdiger Herkunft kein taugliches Beweismittel und beendete 2018 die Ermittlungen der Behörden. Bereits abgenommene Pässe mussten den Betroffenen zurückgegeben werden.
Diesmal sieht die Ausgangslage anders aus. Wie die MA35 bestätigt, bezieht man sich nun auf „eine offizielle Liste der türkischen Wahlkommission“, die 2018 online gestellt wurde. Auslandstürken konnten sich mit ihrer Hilfe informieren, ob sie bei der Präsidentschaftswahl in der Türkei wahlberechtigt waren – was türkischen Staatsbürgern vorbehalten ist.
Die Liste habe damit deutlich mehr Beweiskraft als das alte FPÖ-Datenmaterial, ist man bei der MA35 überzeugt. Zumal der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) im Vorjahr ihre Verwertbarkeit bestätigte. Punkto Datenschutz ist also keine Anfechtung möglich.
„Politischer Spielball“
Für Rechtsanwalt Kazim Yilmaz, der mehrere Personen vertritt, die die MA35 für Doppelstaatsbürger hält, ist die Sachlage dagegen noch nicht so klar. Zuerst müsse die Echtheit der besagten Online-Daten geklärt werden. Bloße Mutmaßungen seien „eines Rechtsstaats nicht würdig“, sagt der Jurist.
Das Vorgehen der MA35 sei „rechtsstaatlich teilweise höchst bedenklich“. So seien in der Vergangenheit Betroffene „vor vollendete Tatsachen gestellt und schlicht aus dem Staatsbürgerschaftsregister ausgetragen worden“, ohne dass man sie über ein Verfahren informiert oder ihnen die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt habe. „Das ist inakzeptabel.“
Nun würden gut integrierte Menschen zum politischen Spielball. „Sie werden von ihrer Heimat, Österreich, ausgestoßen“, kritisiert Yilmaz. Es schade der Integration enorm, „wenn Menschen, die seit Jahrzehnten hier leben, arbeiten und einen Beitrag leisten, ihre Staatsbürgerschaft und somit ihre Identität verlieren“.
Jahrelanger Prozess
„Wir bewegen uns nicht im rechtsfreien Raum“, heißt es dazu von der MA35. Würde man vorliegende Beweise nicht verwerten, mache man sich des Amtsmissbrauchs schuldig.
Zudem wolle man nicht den Eindruck erwecken, „als hätten wir jahrelang nichts getan und auf einmal würden wir wenigen hundert Personen die Staatsbürgerschaft wegnehmen wollen“. Es handle sich um einen kontinuierlichen Prozess: Die nunmehr verwendete Liste habe man schon 2018 gekannt. Nach Einsprüchen mussten die Verwaltungsrichter aber erst klären, ob sie als Beweismittel zulässig ist – was der VwGH im März 2020 tat.
De facto entziehe man die österreichische Staatsbürgerschaft auch nicht, stellt man bei der MA35 klar. Diese erlösche bei zusätzlicher Annahme der türkischen von selbst.
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