Hinterbliebene kritisieren: "Warum rief er nicht Rettung?"

Tatverdächtiger Andreas S. beim gerichtlichen Lokalaugenschein am Mittwoch in Währing.
Opfer röchelte noch, mutmaßlicher Schütze soll aber erst nach 20 Minuten Polizei gerufen haben.

Ein Schuss fällt in der Nacht auf den 18. September in einem Haus in der Wallrißstraße in Wien-Währing. Eine ältere Frau schaut auf die Uhr: Es ist 00.40 Uhr. Das Geräusch kommt aus der Wohnung oberhalb, wo ihr Sohn wohnt. Um 00.59 Uhr geht ein Notruf bei der Wiener Polizei ein. Der Anrufer sagt: "Ich habe einen Freund ..., ich habe einen Freund ermordet. Ich war so dumm."

Im Wohnbereich der Dachgeschoßwohnung finden Polizisten den 42-jährigen Eric J. tot mit einer Schusswunde am Kopf. Neben ihm eine halb leere Flasche Corona-Bier, Reste eines Grillabends, zwei Waffen und sein betrunkener Stiefbruder Andreas S., der den Notruf gewählt hat.

Der 44-jährige Kapitalmanager beteuert, der Schuss habe sich aus Versehen aus seiner Glock gelöst, als er und J. damit hantiert haben. Tatsächlich wurde die DNA beider Männer an der Waffe festgestellt. Es gibt weder Spuren eines Kampfes, noch ist ein mögliches Mordmotiv bekannt.

Aus kurzer Distanz

Jetzt melden sich die Hinterbliebenen über ihren Anwalt Wolfgang Renzl zu Wort. Ob es Mord oder fahrlässige Tötung war, müsse das Gericht entscheiden, schickt er voraus: "Bis jetzt ist nur klar, dass ein Mann einem anderen aus kurzer Distanz ins Gesicht geschossen hat."

Nachdenklich macht Opferanwalt Renzl aber "das Nachtatverhalten des Schützen". Damit meine er einerseits die Zeitspanne zwischen Schuss und Anruf; und andererseits, dass S. nur die Polizei gerufen hat – nicht die Rettung. Ein brisantes Detail, denn das Opfer hat nach dem Schuss offenbar noch (kurz) gelebt. "S. hat gesagt, dass er seinen Stiefbruder noch röcheln gehört hat."

Was sich in jener Nacht genau abgespielt hat, daran kann sich der Tatverdächtige nicht mehr erinnern. Bei ihm wurden 2,2 Promille Alkohol im Blut gemessen, das Opfer hatte ein Promille. S. gab an, er und sein Stiefbruder hätten gleich viel getrunken: Bier und gemeinsam eine Flasche Rosé-Wein. Renzl vermutet daher, dass er alleine weitergetrunken hat, als J. schon tot war.

"Er stand unter Schock"

Zum Verhalten seines Mandanten zwischen Schuss und Notruf sagt Verteidiger Philipp Winkler: "Er war in einem absoluten Schockzustand, da machen die Menschen unsinnige Dinge. Seinem Empfinden nach sind nur wenige Minuten vergangen." Die Mutter von Andreas S., die den Schuss gehört haben will, habe sich mittlerweile ihrer Aussage entschlagen.

In dem Ermittlungsverfahren steht noch das Schießgutachten aus. S. ist weiterhin in U-Haft.

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