Wer war Julius Tandler?
Eine Straße, ein Denkmal sowie drei Gedenktafeln erinnern in Wien an Julius Tandler. Doch sein Werk ist umstritten: Er war Arzt, Professor für Anatomie und Sozialdemokrat, dem viel daran lag, alle Menschen bestmöglich medizinisch zu versorgen. Kein Wiener Kind, sagte er, solle auf Zeitungspapier geboren werden. Ebenso gilt er aber als Befürworter der Eugenik, der Ausdrücke wie „unwertes Leben“ verwendete und sich für freiwillige Sterilisation einsetzte.
1936 starb Tandler in Moskau, seiner Frau Olga emigrierte mit den Kindern in die USA. Und dort beginnt die Lebensgeschichte von Bill Tandler. Geboren 1941, ist er in Manhattan aufgewachsen.
Heute lebt er mit seiner Familie – er hat zwei Kinder und fünf Enkel – in Kalifornien nahe San Francisco.
Welche Rolle spielt Julius Tandler im Leben seines Enkels?
„Er hat mich sehr beeinflusst, auch wenn mir das lange nicht bewusst war“, erwidert er. „Ich bin Skiläufer, Schlittschuhläufer und ich arbeite gerne mit den Händen – so wie er.“
Bill Tandler beherrscht übrigens fließend Deutsch. Zuhause (der Vater war Österreicher, die Mutter Amerikanerin) habe er Englisch gesprochen. Doch er lernte Deutsch im Zuge seiner Ausbildung.
„Ich war in einer Rudolf-Steiner-Schule in Manhattan“, erzählt er. „Was für ein Geschenk. Wir haben viel Kunst, viel Kreatives erschaffen.“ Danach studierte er an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) Mathematik. Beruflich verschlug es ihn schließlich nach Kalifornien.
Bill Tandler hatte immer auch eine enge Bindung zu Österreich: Seit den 1950er-Jahren komme er regelmäßig her, nicht nur nach Wien. „Ich liebe Seeboden und den Millstätter See sowie Steyr. Ich liebe Klimt, Hundertwasser, Mozart“, sagt Tandler.
Auch in seinem Elternhaus war Julius Tandler präsent: Es sei voller Bilder, Gemälde und Apparaturen seines Großvaters gewesen.
„Als Erwachsener habe ich seine Tagebücher gefunden und gelesen. Er war humorvoll und philosophisch“, sagt Bill Tandler.
Was er zur Kritik an seinem Großvater sage? Dazu wisse er nicht genug über dessen politisches Engagement, erwidert er. „Aber was Rassismus betrifft: Da passiert auch in den USA sehr viel Schlechtes. Und Trump ist ein Schauspieler, aber Millionen unterstützen ihn. Und ich frage mich: Wieso sitzt er nicht im Gefängnis?“
Idee, den Nachlass der Stadt zu übergeben
Vor einigen Jahren baten ihn Forscherinnen aus Österreich um Zugang zu den Materialien. Da sei die Idee entstanden: „Wäre es nicht gut, das alles der Stadt Wien zu übergeben?“
as Foto des jungen Bill unter dem Straßenschild ist zwar nicht darunter – dafür zahlreiche andere Fotografien, Porträts, Dokumente, Gerätschaften, Tagebücher und Briefe. In Kürze wird das Material für die Öffentlichkeit zugänglich sein. „Wir hoffen, so die Person in ihren Facetten und Widersprüchen besser zu verstehen“, so Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler.
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