Gutachten: Staat darf Jungärzte nicht zum Dienst im Spital zwingen
In der Politik kursiert die Idee, Jungmediziner temporär zur Arbeit im öffentlichen Gesundheitssystem zu vergattern. Das wäre rechtswidrig, ergibt ein von der Kammer beauftragtes Gutachten
Allzu oft kommt es nicht vor, dass der türkise Bundeskanzler und der rote Wiener Gesundheitsstadtrat einer Meinung sind. Wenn es aber darum geht, die aktuellen gravierenden Engpässe im Gesundheitssystem zu beseitigen, sehen ihre Ideen erstaunlich ähnlich aus.
Bei seiner Grundsatzrede im März hatte sich Karl Nehammer für eine Berufspflicht für Jungmediziner ausgesprochen, die ihr Medizinstudium in Österreich absolviert haben. Damit würden sie „der Gesellschaft ein Stück weit etwas von dem zurückgeben, was sie kostenlos in Anspruch genommen haben“. In der ÖVP kann man sich eine fünfjährige Berufspflicht vorstellen.
Der Hintergrund: Rund ein Drittel der MedUni-Absolventen zieht es vor, anstelle als Arzt zu arbeiten, in andere Bereiche (z. B. Forschung, Industrie) oder ins Ausland zu wechseln. Auf der anderen Seite stehen pro Absolvent öffentliche Ausgaben von bis zu 542.000 Euro, wie der Rechnungshof vor zwei Jahren ermittelt hat.
Ähnliches wie Nehammer schwebt auch Wiens SPÖ-Gesundheitsstadtrat Peter Hacker vor: Im Vorjahr plädierte er in einem Interview dafür, dass Jungmediziner nach ihrer Ausbildung fünf bis zehn Jahre an einem Wiener Spital bleiben müssen.
„DDR-Fantasien“
Ideen, die auf heftigen Widerstand der Ärztekammer stoßen. Von „DDR-Fantasien“ spricht Stefan Ferenci, Vizepräsident der Wiener Ärztekammer. Da zu befürchten sei, dass sich diese „scheinbar einfache Lösung“ in den Köpfen der Politiker festsetzt und zum Selbstläufer wird, habe man ein Gutachten in Auftrag gegeben, um zu klären, ob solche Maßnahmen rechtlich überhaupt möglich sind.
Das Ergebnis der 31-seitigen Abhandlung des renommierten Wiener Juristen Karl Stöger, die dem KURIER vorliegt, fällt recht eindeutig aus: Eine gesetzlich angeordnete Tätigkeitsverpflichtung für Ärzte, um das öffentliche Gesundheitssystem aufrecht zu erhalten, ist sowohl verfassungs- als auch unionswidrig.
Und so kommt der Jurist zu dieser Einschätzung: Eine derartige gesetzliche Verpflichtung würde in mehrere Grund- und Freiheitsrechte eingreifen. Ein solcher Eingriff sei aber nur zulässig, wenn er verhältnismäßig ist.
Dafür müssen vier Kriterien erfüllt werden: Die Maßnahme müsse im öffentlichen Interesse liegen, zur Zielerreichung geeignet, das gelindeste Mittel und adäquat in Hinblick auf Ziel, Mittel und Relationen sein.
Öffentliches Interesse
Laut Gutachten würde ein öffentliches Interesse durchaus vorliegen, doch schon bei der zweiten Anforderung – der Geeignetheit – sieht Stöger massive Probleme. Denn der Ärztemangel betreffe derzeit lediglich bestimmte medizinische Fächer.
Eine Tätigkeitsverpflichtung, besonders wenn sie nur auf diese Fächer beschränkt ist, könnte eine abschreckende Wirkung auf angehende Mediziner haben. Dies könnte die Personalnot sogar noch verschärfen.
Dazu kommt noch: Im Rahmen ihrer Ausbildung – etwa als Turnusärzte – würden die Jungmediziner ohnehin schon dem öffentlichen Gesundheitssystem zur Verfügung stehen. „Das unterscheidet sie von anderen akademischen Berufen“, betont Thomas Holzgruber, Generalsekretär der Wiener Ärztekammer.
Studierende
Bei den in der Vorwoche erfolgten Aufnahmetests für das Medizinstudium traten 11.735 Bewerber für die österreichweit 1.850 Studienplätze an
Absolventen
Im Studienjahr 2020/’21 gab es laut Statistik Austria 1.702 Absolventen. Von 15.380 Studenten in diesem Jahr stammten 5.482 aus dem Ausland
31 Prozent
der Absolventen eines Medizinstudiums sind in weiterer Folge nicht ärztlich tätig bzw. haben das Land verlassen. Das ergab ein Bericht des Rechnungshofs, der 2021 veröffentlicht wurde
Endgültig einer solchen Maßnahme im Weg stehen würde die Erforderlichkeit. Mit anderen Worten: Es gäbe zahlreiche gelindere Mittel, um die Personalsituation im öffentlichen Gesundheitssystem zu verbessern.
Solche wären laut Gutachten etwa eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den öffentlichen Spitälern, eine Attraktivierung des kassenärztlichen Bereichs, aber auch Einschränkungen im Wahlarzt-System oder Studienkreditmodelle.
Hacker fordert konkrete Vorschläge
Gesundheitsstadtrat Peter Hacker will die Studie nicht kommentieren, weil er sie nicht kenne. „Die Idee, Ärzte nach Abschluss ihrer Ausbildung für einige Zeit im öffentlichen Gesundheitswesen zu verpflichten ist eine von vielen Ideen, die diskutierenswert sind, aber da stehen wir alle noch am Anfang“, betont er. „Es wäre seitens der Kammer jedenfalls hilfreich, einen konkreten Vorschlag zu machen, der die Situation verbessern könnte, anstatt wieder nur zu sagen, was nicht geht.“
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