Boulevard der Vorstadt
Aber wovon reden wir eigentlich, wenn wir vom Gürtel reden? „Der Gürtel hat eine essenzielle Bedeutung als verbindender Stadtraum“, sagt Bernhard Steger, Abteilungsleiter der MA 21 A (Stadtteilplanung und Flächenwidmung Innen-Südwest). „Deswegen muss man bei allen Überlegungen für die Zukunft immer im Hinterkopf haben, dass diese Verbindungsfunktion erhalten bleibt.“ Mit anderen Worten: Irgendwo muss es auch in einer verkehrsberuhigten Stadt noch Verkehr geben.
Die Stadt nimmt dafür in Kauf, dass ein prachtvoller Boulevard – über weite Strecken ist der Gürtel 67 Meter breit! – dem Autoverkehr geopfert wird. Und doch gehört der Gürtel so, wie er ist, mit Prater, Kaffeehaus und Würstelstand zur DNA der Stadt: die Verkehrshölle der Herzen.
An manchen Abschnitten ist es am Gürtel fast idyllisch. Das gilt vor allem für den Margaretengürtel mit seinen weitläufigen Grünflächen. Weil eine ursprünglich geplante Stadtbahnlinie zwischen West- und Südbahnhof nie realisiert wurde, ist zwischen den Fahrbahnen viel Platz. Das Einzige, was hier im Mittelstreifen nicht grün ist, sind die asphaltierten Böden der Fußballkäfige.
Weil sich hier ein mächtiger Gemeindebau aus den 1920er-Jahren an den anderen reiht, wird dieser Teil des Gürtels „Ringstraße des Proletariats“ genannt. Mit dem legendären Café Industrie gab’s am Margaretengürtel sogar ein entsprechendes Ringstraßencafé, aber das hat 2017 für immer zugesperrt (wie so vieles am Gürtel).
Es darf laut sein
Auch die Zeit der Rotlichtlokale ist lange vorbei. Ein früherer „Gürtelkönig“ erklärte in einem Falter-Interview einmal, warum er sich 2000 vom Gürtel zurückgezogen hat: „Es ist immer schlimmer geworden: Eine Bibliothek hat man hingebaut. Man räumt die Stadtbahnbögen aus und richtet Kulturzentren ein. Da passt natürlich das Nachtleben nicht mehr dazu.“
Was der Mann da anspricht, ist das städtebauliche Projekt „Urbion“, das ab 1995 im Rahmen eines EU-Förderprogramms – Österreich war der Union da gerade erst beigetreten – umgesetzt wurde. Dazu gehörte die Revitalisierung der Gürtelbögen, in die damals Musiklokale wie Chelsea, Rhiz und B72 einzogen. Denn wenn der Verkehrslärm am Gürtel sein Gutes hat, dann das: Man ist hier mitten in der Stadt und darf trotzdem laut sein.
Die bei Urbion federführende Architektin Silja Tillner bezog sich direkt auf Otto Wagner, den Architekten der Stadtbahn. „Die Stadtbahn ist ein städtebauliches Meisterwerk“, sagt Tillner. „Wagners Vision war, dass der Gürtel keine Barriere ist, sondern ein Ort der Begegnung. Es war ihm wichtig, dass die Brücken Tore sind, also verbindend. Und dass die Stadtbahnbögen von größter Transparenz sind.“
Wagner sah für die Bögen in seinen Entwürfen deshalb großflächige Verglasungen vor, was damals an technischen Beschränkungen scheiterte. 100 Jahre später hat Tillner es umgesetzt – nur im Chelsea, dem allerersten der neuen Lokale, gibt es die gläsernen Wände noch nicht.
Auch das markante Membrandach, das den Urban-Loritz-Platz zusammenhält, hat sich Tillner ausgedacht. Mit der daran angrenzenden Hauptbibliothek, die seinerzeit den Gürtelkönig vertrieben hat, bildet das Dach eine derart harmonische Einheit, dass man sich das eine kaum ohne das andere vorstellen kann. Interessanterweise war das Dach aber zuerst da.
Silja Tillner ist überzeugt davon, „dass wir auf Straßen mit vielen Autos in 20, 30 Jahren zurückblicken werden wie heute auf die zugeparkte Kärntner Straße“. Es müssten in Wien aber zuerst noch viele andere Straßen beruhigt werden, bevor man eine Hauptverbindungsroute kappt.
„Intimer als der Ring“
Für den Gürtel schlägt sie als Sofortmaßnahme vor, den Parkstreifen auf der rechten Straßenseite wegzunehmen. Dann könnte man dort Bäume pflanzen, und es stünden bald nicht mehr so viele Geschäftslokale leer wie jetzt.
„Von der städtebaulichen Komposition her ist der Gürtel wunderschön: die gründerzeitlichen Gebäude an den Seiten, die breite Straße, die Allee in der Mitte“, schwärmt Tillner. „Es klingt absurd, aber der Gürtel hat einen intimeren Charakter als der Ring.“
Für den Währinger Gürtel hat die MA 21 eine Schutzzone ausgewiesen, was bedeutet, dass die Häuser nicht ohne Bewilligung angerührt werden dürfen. „Das sind von ihrer Grundsubstanz her sehr schöne Häuser“, erklärt Abteilungsleiter Steger. „Da sieht man, was für ein Potenzial der Gürtel hat.“
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