Friedensschluss bei vollen Tellern

Einträchtiges Fastenbrechen in der afghanischen Moschee
Fastenbrechen: Nach blutigen Konflikten suchen Afghanen und Tschetschenen eine gemeinsame Lösung

Mit Messern, Eisenstangen und Holzlatten gingen 50 afghanische Jugendliche im März beim Handelskai auf tschetschenische Burschen los. Zwei Personen schwebten nach dem Angriff in Lebensgefahr, fünf weitere wurden schwer verletzt. In Salzburg gipfelte ein Konflikt zwischen den beiden Volksgruppen Anfang 2015 in einer Straßenschlacht mit rund 80 Beteiligten beim Hauptbahnhof. Bei einem Streit in Wels fielen sogar Schüsse. In St. Pölten wurde einem jungen Tschetschenen ein Messer in den Bauch gerammt.


Und dann passiert das: Mit verschränkten Beinen sitzen die Männer eng nebeneinander auf dem Teppich. Vor ihnen Teller mit Huhn, Reis, Salat, Melone. Hungrig und plaudernd stürzen sie sich nach dem Gebet darauf. Eine kleine Sensation – denn es sind Tschetschenen und Afghanen, die hier gemeinsam in einer afghanischen Moschee nahe der Wiener Stadthalle ihr Fasten brechen.


Racheaktion

„Konflikte hat es immer wieder gegeben“, sagt Abdulghani Nazari, Mitglied des afghanischen Weisenrates. „Aber der Vorfall am Handelskai war zu viel. So darf es nicht weitergehen.“ Auslöser war ein beleidigendes Posting auf Facebook. Doch schon vorher hatte es zwischen den Volksgruppen gebrodelt. Und auch danach war der Wunsch da, sich zu rächen – einem jungen Afghanen wurde der Kiefer gebrochen.

„Es darf keine Gegenaktionen mehr geben. Unsere Jungen wissen das. Sonst gibt es Sanktionen“, sagt der Tschetschene Adam Bisaev. Auch er sitzt auf dem Teppich der afghanischen Moschee. Er kommt gerade vom Training mit Jugendlichen. Im Keller eines Gemeindebaus unterrichtet er die Kampfsportart Latar Do. Es sind vor allem tschetschenische Kinder und Jugendliche, die hier trainieren. Aber auch Bosnier, Türken, Ukrainer und ein paar Österreicher. „Wenn die Jungen damit beginnen, wollen sie kämpfen“, sagt Bisaev. Und doch würden sie etwas ganz anderes lernen: Disziplin, Respekt, Geduld. „Kampfkunst ist ein starkes Mittel zur Erziehung“, meint Bisaev. „Sie sind hier, um stark zu werden. Und entwickeln starke Persönlichkeiten.“

Friedensschluss bei vollen Tellern


Auch in der afghanischen Community ist das Bemühen da, die Jugendlichen einzufangen. „Doch diejenigen, die in solche Schlägereien verwickelt sind, kommen selten in die Moschee“, meint Nazari. Man habe versucht, Kontakte aufzubauen. „Aber sie haben Angst vor uns. Sie befürchten, dass wir sie an die Polizei verraten.“ Das Vorgehen ist intern klar geregelt: Wer Ärger macht, wird der Moschee verwiesen und angezeigt.


Es sind viele Gemeinsamkeiten, die Tschetschenen und Afghanen teilen, sind sich Bisaev und Nazari einig. Jahrzehntelanger Krieg in der Heimat, Gewalterfahrungen, oft sind die Väter gestorben. „Wenn so lange Krieg ist, kann nichts Gutes rausschauen. Wer ständig nur Gewalt erlebt, übt sie auch aus“, sagt Nazari. Er wünscht sie vor allem ein härteres Durchgreifen der Polizei: „Das spricht sich herum.“ Speziell sexuelle Übergriffe seien „eine Schande! Da wird unser aller Name in den Schmutz gezogen.“


Köln-Stigma

Am Wiener Handelskai, wo die Gewalt vor einigen Monaten eskalierte, ist es sehr ruhig geworden. Ob es hier Banden gibt? „Uns ist derzeit keine bekannt“, sagen Fabian Reicher und Martin Dworak von Back Bone 20. Sie sind als Streetworker hier unterwegs und haben nach der Massenschlägerei einige Jugendliche intensiv betreut. „Die Gegend ist kurzfristig für viele zu einem echten Angstraum geworden“, erzählt Reicher. Das Ganze als Konflikt zwischen zwei Ethnien zu sehen, sei aber zu kurz gegriffen. „Das Ethnisieren von Konflikten ist spätestens seit Köln ein Problem.“


Worum es den Burschen vor allem ginge, sei das Gruppengefühl. „Und um Anerkennung.“ Genau diese erleben sie viel zu selten. „Also schaffen sie sich eine Negativ-Identität.“ Sprich: Einen schlechten Ruf durch diverse Straftaten und möglichst hartes Auftreten. „Wir kennen sogar einen Burschen, der sich als Tschetschene ausgibt, obwohl er gar keiner ist.“ Der Mythos vom „gefährlichen Tschetschenen“ zeigt hier seine Anziehungskraft.


Die offiziellen Vertreter von Afghanen und Tschetschenen werden sich weiter um Frieden bemühen. Kommende Woche feiern sie das Ende der Fastenzeit gemeinsam – diesmal auf Einladung der Tschetschenen.

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