Flüchtling aufgenommen: "Lederhosen haben ihn erstaunt"
Die Ö3-Moderatorin Elke Lichtenegger hat bei sich zu Hause einen Flüchtling aufgenommen: Seit August wohnt Wael aus Aleppo bei ihr und ihrem Lebensgefährten. Wael ist 22 Jahre alt und arbeitete in Syrien in der Gastronomie. Im Interview mit dem KURIER erzählt sie, was sich in ihrer aller Leben seitdem verändert hat.
KURIER: Sie und Ihr Lebensgefährte haben seit einigen Monaten einen Mitbewohner. Wie klappt denn das Zusammenleben mit Wael aus Syrien bisher?
Elke Lichtenegger: Nach einer ersten Eingewöhnungsphase läuft mittlerweile alles sehr unaufgeregt und unkompliziert ab. Es fühlt sich an, als würden wir in einer Wohngemeinschaft wohnen. Jeder von uns hat seinen eigenen Bereich, und die Küche teilen wir uns. Wir trinken morgens zum Beispiel gemeinsam in der Küche noch schnell einen Kaffee. Dann fährt Wael zum Deutschkurs, und auch für meinen Lebensgefährten und mich beginnt ein neuer Arbeitstag.
Sprechen Sie mit Wael häufig über sein Leben in Syrien?
Wir haben von Beginn an offen über alles gesprochen. Wael hat sicher einiges erlebt, das für uns unvorstellbar ist. Seine Familie ist zerrissen. Der Vater lebt derzeit im Libanon, die Mutter und die Schwester sind in der Türkei. Er hat es bis nach Österreich geschafft. Seine Heimatstadt Aleppo liegt in Trümmern, er selbst wurde im Krieg von einer Kugel am Bein verletzt. Aber er hat trotz allem eine wunderbar positive Art und Einstellung zum Leben: Er blickt nach vorne und möchte hier ein neues, sicheres Leben beginnen.
Kann man die Art des Zusammenlebens mit einer Studenten-WG vergleichen? Haben Sie zum Beispiel Pläne, wann wer kochen oder putzen muss?
Unsere Wohnsituation hat definitiv WG-Charakter. Wir haben zwar keine derartigen Pläne, aber es ist selbstverständlich, dass jeder die Küche nach dem Kochen putzt und alles wegräumt. Auch im Kühlschrank hat jeder Platz für seine eigenen Lebensmittel – und wenn man einmal was vom anderen braucht, gibt man kurz Bescheid und kauft es nach. Es läuft alles sehr reibungslos.
Was unternehmen Sie gemeinsam?
Wir kochen immer wieder zusammen – gerade am Wochenende oder am Abend. Mal gibt es syrisches Essen, mal klassische österreichische Küche. Während des Kochens und des Essens erzählt jeder über seinen Tag.
Was lernen Sie durch das Zusammenleben voneinander?
Wir erfahren von Wael viel über seine Heimat und über die Menschen dort. Auch ein paar Worte Arabisch konnte ich schon lernen. Es ist wirklich eine schwierig zu lernende Sprache. Umgekehrt versuchen wir, Wael vieles aus unserer Kultur zu erklären: etwa, warum wir Weihnachten, Ostern oder Silvester feiern. Oder auch, warum wir Steuern zahlen, Müll trennen und eine Versicherung für unsere Autos brauchen. Das ist neu für Wael, und es interessiert ihn sehr.
In welcher Sprache sprechen Sie zu Hause miteinander?
Derzeit sprechen wir noch sehr viel Englisch. Wael lernt durch seinen Kurs jedoch jeden Tag besser Deutsch: Er versteht schon einen großen Teil – nur beim Sprechen ist er manchmal noch etwas zurückhaltend.
Was hat Wael am Leben in Österreich am meisten erstaunt?
Das ist schwierig zu sagen, denn vieles ist hier anders als in seiner früheren Heimat. Neu war für ihn jedenfalls unser Steuersystem: Warum zahlen wir in Österreich einen Teil des Gehalts als Steuern – und wofür wird dieses Geld dann verwendet? Dieses Thema hat ihn sehr interessiert. Und Trachten-Lederhosen haben ihn sichtlich erstaunt. Er möchte sich später selbst auch einmal eine echte Lederhose leisten.
Worüber lachen Sie gemeinsam?
Am häufigsten lachen wir über meine Hunde. Wael liebt die beiden sehr, und er geht auch gerne mit ihnen bei uns im Ort spazieren. Immer wieder lachen wir auch gemeinsam über die Aussprache von manchen deutschen Wörtern oder von Namen. Wael nimmt das mit Humor: Er muss dann auch selbst darüber lachen, wenn wir ihm erklären, wie ein Wort wirklich ausgesprochen wird.
Gibt es – wie wohl in nahezu jeder WG – Konfliktpunkte?
Nachdem Wael sehr zurückhaltend ist, gibt es kaum Reibungspunkte. Es gab daher auch keine ernsthaften Konflikte. Wenn ein Thema im WG-Alltag aufkommt, sprechen wir einfach darüber. Etwa über die Lautstärke der Musik: Wael hört gerne laute Musik, ich nur ganz leise im Hintergrund. Wael hat jetzt Kopfhörer und hört auf seinem Handy, so laut er möchte – Problem gelöst.
Gibt es in den sozialen Medien auch negative Reaktionen oder hat sich die Situation beruhigt?
Es hat sich mittlerweile alles weitgehend beruhigt. Vereinzelt gibt es negative Kommentare von Menschen, die dem Thema Flüchtlinge grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen. Diese Haltung respektiere ich grundsätzlich auch. Ich finde nur, dass der Umgang miteinander und auch die Kommunikation in den Social-Media-Plattformen respektvoll sein sollen. Man sollte auch im Internet nicht unter die Gürtellinie gehen.
Würden Sie anderen raten, einen Flüchtling aufzunehmen?
Ich möchte niemandem etwas raten. Ob jemand helfen möchte – und vor allem: wie er helfen will –, bleibt jedem selbst überlassen. Für mich war es die richtige Entscheidung.
Seit 2007 arbeitet Elke Lichtenegger als Moderatorin beim Radiosender Ö3, bis 2014 moderierte sie ein Magazin bei "Motor.tv". Außerdem studiert Lichtenegger Kunstgeschichte an der Universität Wien.
Lichtenegger ist leidenschaftliche Sportlerin – sie selbst nennt sich gar "sportsüchtig". Sie ist Triathletin und Dressurreiterin. Ebenso ist sie sehr tierlieb: Sie hat zwei Hunde, mehrere Hühner sowie einen Erpel namens Werner. In ihrer Freizeit besucht sie häufig Museen und Galerien.
Um einen Flüchtling aufzunehmen, wandte sie sich an „Flüchtlinge Willkommen Österreich“.
Kommentare