Fakten-Check: Flüchten die Wiener aus ihrer Stadt?
ÖVP-Kanzlerkandidat Sebastian Kurz ließ bei seiner Rede in der Wiener Stadthalle Ende September mit seiner Aussage aufhorchen: "Ich habe in Wien mit vielen Menschen gesprochen, die zu mir gesagt haben, dass sie überlegen, ob sie nicht umziehen sollen, weil sie sich mittlerweile in ihrer eigenen Gasse schon etwas fremd fühlen." Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) reagierte erbost: "So etwas Dummes habe ich überhaupt noch nie gehört."
Doch wie sieht es tatsächlich aus – ziehen Wiener vermehrt aus der Stadt weg?
2016 haben 82.629 Menschen Wien verlassen. 37.627 Menschen davon sind innerhalb Österreichs umgezogen. Die große Mehrheit (23.595 Menschen) verlagerte ihren Wohnsitz nach Niederösterreich. Umgekehrt zogen aber auch aus den Bundesländern 38.765 Menschen nach Wien – auch hier die meisten aus NÖ nach Wien (18.863 Menschen). "Die Tendenz, dass mehr von Wien nach NÖ ziehen als umgekehrt, ist seit Jahren relativ gleichbleibend. Wenn man sich die Altersstruktur ansieht, ist erkennbar, dass größtenteils eher jüngere Menschen zwischen 18 und 26 Jahren zur Ausbildung oder wegen des größeren Arbeitsangebots nach Wien ziehen", sagt ein Experte der Statistik Austria. Nach NÖ hingegen ziehen Menschen, die in einem Alter sind, in dem eine Familie gegründet wird.
Kein neuer Trend
"Die Suburbanisierung (Abwanderung in das städtische Umland, Anm.) ist kein neuer Trend. Er prägt westliche Städte seit 30 Jahren", sagt Christoph Reinprecht, Soziologe an der Universität Wien. Verschiedene Aspekte seien ausschlaggebend, aus Städten zu ziehen: "Familienstand, Lebenszyklus, Kostenfrage und Eigenheim sind die wichtigsten Gründe. Personen mit Kindern, die ein Gebiet mit Grünanschluss vorziehen, werden eher im Umland fündig; innerstädtischer Wohnraum wird knapp und teuer, das Umland ist verhältnismäßig günstig; für große Teile der Bevölkerung ist ein Eigenheim noch das Ideal – das lässt sich im Umland eher realisieren." Städte würden dafür kürzere Wege und eine bessere Infrastruktur bieten, sowie eine flächendeckendere Kinderbetreuung und mehr Arbeitsplätze.
Dies betreffe auch Gegenden wie etwa die Innere Stadt, wo das Goldene Quartier zu Veränderungen für die Anrainer geführt habe. "Wenn sich das Umfeld ändert, gibt es Momente, wo man vielleicht eine Entscheidung trifft, wegzuziehen. Dass der Zuzug von Zuwanderern der alleinige Auslöser sein soll, in das Stadtumfeld zu ziehen, halte ich für zweifelhaft." Wichtigere Fragen seien, in welcher Lebenssituation man sich befinde, ob Geld vorhanden sei und ob man ein Eigenheim schaffen wolle. Die Aussage von Kurz hält Reinprecht daher für politisches Kalkül.
Dass es in Wien weniger grün ist, stört den Sozialarbeiter auch nicht. "Die Donauinsel und der Wienerwald sind so schnell erreichbar, da kommt man auch auf seine Kosten", sagt er. Demnächst möchte er mit seiner neuen Freundin zusammenziehen – dieses Mal aber in Wien. Außerdem möchte er sich selbstständig machen, was wegen der Infrastruktur auch in Wien einfacher sei.
"Verkehr in Wien war unerträglich"
Ausschlaggebend für den Umzug war schlussendlich dennoch das notwendige zusätzliche Kinderzimmer für den Nachwuchs. Wittberger ist aber zufrieden mit seiner Entscheidung. „In NÖ wird geschaut, was die Bewohner beim Verkehr brauchen und dann schnell umgesetzt. Auch die Situation im Kindergarten ist besser“, findet er.
"In inneren Bezirken ist es schöner"
„Für mich war die Arbeitssuche nicht das vorrangige Motiv. Ich hätte auch in Baden oder Mödling als Krankenschwester einen Job gefunden“, sagt die 21-Jährige. „Aber wir wollten in eine große Stadt, raus aus Baden“, fährt sie fort. Wien hat sie schon immer gereizt. „Hier ist immer was los, da wird es nicht langweilig“, sagt sie.
Das Paar wohnt in einer Zweizimmer-Wohnung direkt am Gürtel. „Den Lärm muss man da in Kauf nehmen, aber wir finden es nicht schlimm“, sagt Böck. Die meiste Zeit verbringen sie in den Bezirken innerhalb des Gürtels. „Da ist es schon schöner“, sagt sie lachend.
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