Erbsenzählerei: Wie die Teuerung Wiens Wirte zum Sparen zwingt
Kein Verkehr und kaum Fußgänger: Das Stadlauer Vorstadtbeisl von Leopold Selitsch liegt wie auf einer ruhigen Insel, wie er sagt. Die Familie betreibt das Wirtshaus in der Donaustadt seit 1898. Der Wirt gilt als Institution, das zeigt auch die Bildergalerie mit Fotos der ehemaligen Bürgermeister Helmut Zilk und Michael Häupl.
Ein Foto von Michael Ludwig muss erst gerahmt werden, der komme aber eh oft vorbei: „Wenn‘s Beuschel gibt, gebe ich ihm Bescheid“, erzählt Selitsch. Im Beisl ist vieles „wie damals“, Teuerung und Energiekrise sind aber auch hier angekommen.
Gerichte wurden gestrichen, ganztägig geöffnet ist nur mehr an zwei Tagen die Woche,: „Um Energie zu sparen. Die Speisenpreise mussten wir um einen Euro anheben. Mal sehen, wie lange das vorhält“, schildert Selitsch.
Das Gansl (teilweise Bio) bietet Selitsch um einen „Kampfpreis“ von 22,50 Euro. Es zu streichen, traue er sich aus Sorge um seine Stammgäste aber nicht. Die kämen statt alle zwei Tage inzwischen nur mehr zweimal die Woche.
Krisenstimmung herrscht auch bei anderen Gastronomen, wie ein KURIER-Lokalaugenschein zeigt. Man versucht sich zu helfen, verkleinert die Karte, sperrt später auf - und kündigt Mitarbeiter, wenn es gar nicht mehr anders geht.
Wie Wiens Gastronomen einsparen wollen und wie Gäste auf die Teuerung reagieren, hat die Wirtschaftskammer im Sommer für den Gastro-Monitor abgefragt (siehe Grafik). Das Verständnis für Preiserhöhungen hat Grenzen: Beim Lokalbesuch hätten 60 Prozent der Befragten kein Problem damit, 10 Prozent mehr zu bezahlen. Rund 25 Prozent würden auch 20 Prozent Mehrkosten akzeptieren. Darüber hinaus ist aber Schluss.
Verzicht auf Alkohol
Die Teuerung beeinflusst auch das Konsumverhalten: Die Wiener wollen zwar weiterhin ins Restaurant gehen, dafür aber seltener. Beim Essen fällt die Wahl auf günstigere Gerichte, auf das Dessert wird ganz verzichtet. 30 Prozent der Befragten wollen auch bei den Getränken sparen. Man will Wasser statt Mineral bestellen, der Kaffee wird Zuhause getrunken.
Während im Vorstadtbeisl kaum noch ein Schnaps über die Budl geht, brechen bei Roland Soyka in der Leopoldstadt die Verkäufe von Weinflaschen ein. Seit 2018 betreibt er das Stuwer, die moderne Beisl-Variante mit Gerichten auf Hauben-Niveau. Statt wie geplant nach Corona auch wieder mittags zu öffnen, musste Soyka drei Mitarbeiter entlassen.
Für den Abendbetrieb gibt es statt warmer Vorspeisen nur noch kalte, der Sonntagsbraten wurde gestrichen. Das Bio-Gansl, das im Vorjahr für 22,90 Euro verkauft wurde, kostet heuer 29,50 Euro.
„Ich will bei der Qualität der Produkte nicht runtergehen, verstehe aber, dass es für den Gast eine massive Verteuerung ist. Man merkt, dass die Leute unzufriedener werden. Das Preis-Leistungs-Verhältnis kippt“, schildert er.
Vom Energielieferant gekündigt
Im Stuwer wird im Kleinen und im Großen optimiert. Das reicht von Filterpads, die das Öl in der Fritteuse frisch halten, bis zur Umrüstung der gasbetriebenen Küche. Wände werden für 30.000 Euro aufgestemmt und leistungsstarke Kabel verlegt. Apropos: Von seinem Energieanbieter wurde Soyka vor zwei Wochen gekündigt.
Was er jetzt vor hat? „Gute Frage, genau weiß ich es noch nicht. Aber die Verträge, die man gerade bekommt, unterschreibe ich sicher nicht. Ich soll mich zu den historisch höchsten Preisen für teilweise zwei Jahre neu binden. Da kann ich gleich Konkurs anmelden.“ Um eine Lösung zu finden, bleibt Soyka noch bis November Zeit.
Sind die Energiepreise für kleine Betrieb schon enorm belastend, zeigt sich am Beispiel der Luftburg im Prater, dass es in noch größeren Dimensionen geht.
Bisher zahlte man 160.000 Euro, 2023 steigen die Kosten auf 450.000 Euro, wie Paul Kolarik im KURIER-Gespräch vorrechnet. „Das Lokal müsste täglich 2.000 Euro mehr Umsatz abwerfen. Das wird sich trotz höher Preise auf der Speisekarte nicht ausgehen.“ Getränke hebt man ab November um bis zu 20 Cent, Speisen um bis zu einem Euro.
Historisch günstige Gans
Das Ganslmenü werden Gäste vergeblich suchen. Man hat sich eine Alternative aus Stelzenfleisch überlegt. Die Begründung: „Bio-Gänse sind exorbitant teurer geworden. Würde ich dann noch alle anderen Teuerungen einkalkulieren, müsste die Portion 50 Euro kosten“, so Kolarik. Dem widerspricht Martin Mayringer von der Landwirtschaftskammer Oberösterreich teilweise.
„Mit heimischen Gänsen fährt man aktuell sogar billiger als mit ungarischen. Das hat es in 40 Jahren nicht gegeben.“ Die österreichische Weidegans liege aktuell bei bis zu 16 Euro pro Kilo. Bei Biogänsen (14 bis 18 Euro) hätten die Preise um maximal 1,50 Euro angezogen.
Ohne Gans kommt die „Regina Margherita“ aus. Als Lokal im 1. Bezirk steht man (noch) gut da. Die Kundschaft sei natürlich eine andere, Veränderungen gibt es aber auch hier.
Wir merken, dass die Leute vermehrt Pizza bestellen als höherpreisige Fischgerichte. Die Anfragen für Weihnachtsfeiern sind weniger, dafür geben die Firmen heuer gutes Geld aus“, schildert Luigi Barbaro Junior.
Ein Pizzaofen als Heizung
Für den Betreib des Pizzaofens wurde ein Holzvorrat angelegt, um bei Stromausfällen heizen und backen zu können.
Preise musste man noch nicht anheben, da auch der Energieanbieter alte Strompreise bis 31. Dezember garantiert. „Probleme, die andere jetzt schon haben, kommen auf uns im Jänner zu“, so Luigi. Eine weitere Unbekannte: die steigenden Coronazahlen. Die Mehrzahl der Lokale merkt bereits einen Anstieg von kurzfristigen Stornierungen.
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