Eine Tour durch die Seestadt Aspern: Bäume, Bauten und Big Data

Dass ausgerechnet am Wangari-Maathai-Platz in der Seestadt anfangs nur ein einziger Baum stand, ist schon kurios – war die Friedensnobelpreisträgerin doch dafür verantwortlich, dass Millionen Bäume gepflanzt wurden.
Der Platz liegt im größten Stadterweiterungsgebiet der ohnehin schon stark wachsenden Donaustadt. Und dieser Platz hat sich verändert, sagt Stadtführer Ben Mayer: „Mittlerweile wurden Bäume dazu gepflanzt und hohe Sträucher darunter gesetzt, was im Sommer kühlt.“
Die Stadtplaner haben offensichtlich einiges dazugelernt – waren die ersten Plätze doch meist dunkle Asphaltwüsten, die im Sommer so richtig aufheizen.
Mayer und der Verein Austria Guides for Future machen in Wien Führungen zum Thema Nachhaltigkeit. Die Seestadt Aspern gehört zu den Touren, die am meisten gebucht werden. „Neben Touristen und Uni-Angehörigen kommen vermehrt Delegationen aus dem Ausland, um sich die Seestadt anzuschauen“, erzählt er. Erst kürzlich hat er einen Bürgermeister aus Deutschland durch das Stadterweiterungsgebiet geführt.

Ben Mayer von Guides for Future führt durch die Seestadt Aspern.
Begrünte Fassade kühlt das Haus
Bei der Tour ist eines der ersten Häuser, die er zeigt, das „Living Garden“. Hier wird im Sommer nicht nur das Dach, sondern auch die Fassade begrünt, was eine natürliche Kühle erzeugt. Ein kleines „Wäldchen“ dahinter nimmt den Regen auf. Apropos Regen: Dass große Wassermengen auf kleine Flächen treffen, wird aufgrund des Klimawandels immer häufiger zum Problem. Die Barbara-Prammer-Allee wurde deshalb nach dem Prinzip der Schwammstadt gebaut.
Was das bedeutet, erläutert Ben Mayer so: „Unterhalb der Straße liegt Kies und Schotter, der in der oberen Schicht grobkörnig, darunter feinkörnig ist. Beides funktioniert wie ein Schwamm.“ Das Wasser gelangt über Baumscheiben und Drainage-Elemente in den Boden: „Der obere Teil der Freiflächen filtert Grob- und Schadstoffe, während das Wasser im unteren Teil in den Untergrund fließt.
Die Planer einer solchen „Schwammstadt“ müssen sich allerdings viel mehr abstimmen als es sonst üblich ist – eine Herausforderung.

Living Garden: Die Fassade des Hochhaus wird begrünt
Die Zukunft der Energieversorgung erforschen
Zum Glück gibt es dafür die Künstliche Intelligenz. Die wird im Studentenwohnheim Greenhouse genutzt. „Hier will man die Energieversorgung der Zukunft erforschen“, ist Mayer begeistert. Während anderswo nur theoretisch darüber nachgedacht wird, wann Menschen kochen, waschen oder schlafen gehen, hat man hier Daten in Echtzeit. Die KI prognostiziert, wie viele Bewohner um acht Uhr duschen, wie viel um 18 Uhr. So kennt man den täglichen Spitzenverbrauch. Gleichzeitig hat das System Zugriff auf den Wetterbericht. Wozu man das braucht? „Eine Photovoltaikanlage produziert Strom, der im Haus gespeichert wird, Überschuss kann ins Netz geleitet werden. Regnet es am nächsten Tag, behält man den Strom lieber selbst“, sagt Mayer.

Das Grätzl rund um die Barbara-Prammer-Allee ist nach dem Schwammstadt-Prinzip gebaut worden
Im Bildungscampus ist Platz für Kinder
Der Guide hat schon das nächste Ziel vor Augen – den Bildungscampus Liselotte Hansen-Schmidt. Es gibt in Wien wohl wenige Gegenden, in denen es so viel Platz für Kinder gibt – selbst die U-Bahn-Bögen sind familiengerecht. Sie bieten nicht nur Regenschutz, sondern auch Platz für Fußballkäfige, Picknickplätze und eine Boulderwand. Doch selbst an sonnigen Vormittagen sind hier kaum Kinder. Die spielen eher auf der Freifläche vor der Schule, die außerhalb der Schulzeit für alle geöffnet ist.
Energieautark
Der Campus ist energieautark und nutzt moderne Technologien zur Energiegewinnung: Geheizt und gekühlt wird mit Wärmepumpe und Geothermie: Schläuche in Wänden und Decken regulieren die Temperatur. Übrigens: Geothermie ist die Energieform der Zukunft. In der Seestadt wird derzeit eine große Anlage gebaut, die 20.000 Haushalte versorgen soll.
Wo eine Schule ist, darf die Bibliothek nicht fehlen. In der Seestadt steht die viertgrößte städtische Bücherei. Hier kann man auch Dinge des täglichen Gebrauchs wie Werkzeuge oder Instrumente ausleihen. Wermutstropfen: Für die Bücherei in der Seestadt wurde dafür jene im alten Ortskern von Aspern dichtgemacht.
Gemanagte Einkaufsstraße
So leer wie die Seestadt an einem Morgen ist, an dem die meisten Menschen arbeiten gehen, so belebt ist sie am Abend – auch weil es viele Lokale und Geschäfte gibt, die alle im Erdgeschoß liegen. „Nicht alle Lokale sind vermietet, da es nicht immer leicht ist, geeignete Mieter zu finden“, weiß Mayer. Allerdings haben sich einige Geschäfte wie die Pizzeria Portobello oder die Buchhandlung Seeseiten so etabliert, dass Nicht-Seestädter eigens hierherkommen. „Eine gemanagte Einkaufstraße sorgt für einen gesunden Mix an Geschäften, die sich nicht gegenseitig kannibalisieren.“
Lokale, Freiflächen, Spielplätze – all das führt dazu, dass 93 Prozent der Bewohner sich hier wohlfühlen. Und Ben Mayer? Würde er hier her übersiedeln? „Mich beeindruckt die Planung hier, dennoch ist Wien halt nur im Zentrum mit seinen Gründerzeitbauten Wien, wie ich mir das vorstelle.“
Klarheit: Die wichtigsten Begriffe
Die Donaustadt ist mit 102,3 km² Wiens flächenmäßig größter Bezirk. 2024 lebten 220.794 Menschen in der Donaustadt. Der Bezirk ist aber nicht nur beliebte Wohngegend, sondern auch ein beliebtes Erholungsgebiet: So verlaufen etwa Teile der Donauinsel durch die Donaustadt, auch das Erholungsgebiet Lobau befindet sich im 22. Bezirk. Nicht zu übersehen sind die Hochhäuser der Donaucity und der DC Tower. Bezirksvorsteher ist Ernst Nevrivy (SPÖ).
Die Seestadt Aspern ist eine der größten Stadterweiterungsgebiete Europas auf einer Fläche von 240 ha, die Hälfte davon sind Grünflächen. Im Zentrum ist der neu angelegte See mit einer Fläche von 2,4 ha. Ende der 30er Jahre sollen dort 25.000 Menschen wohnen.
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