Eine reichlich verwirrende Premiere

Mariahilfer Straße Fußgängerzone Neu
Viele Verkehrsteilnehmer wissen noch nicht, wo sie hingehören. Erste Nachbesserungen bei der Führung des 13A

So viele Jahre hat hier alles anstandslos funktioniert. Ich frage mich, ob das jetzt wirklich notwendig ist“, sagt Rudolf Pospisil und blickt skeptisch auf das Schauspiel, das sich vor ihm auf der Mariahilfer Straße abspielt.

Seit Freitagfrüh läuft der mehrmonatige Probebetrieb für die Neugestaltung der Einkaufsstraße. Mit Fußgängerzone zwischen Andreas- und Kirchengasse, zwei angrenzenden Begegnungszonen und zahlreichen neuen Einbahnen in den angrenzenden Grätzeln.

Auf Abwegen

Und zu proben gibt es noch viel. Am ersten Tag der Testphase herrschte reichlich Verwirrung unter den Verkehrsteilnehmern: Besonders in der Früh verirrten sich etliche Pkw – viele davon ohne Wiener Kennzeichen – in die neue Fußgängerzone. Andere wiederum ignorierten die neuen Einbahn-Regelungen, die etwa in der Webgasse gelten. Nicht immer ist einer der zahlreichen Polizeibeamten zur Stelle, um die Lenker zu stoppen und in die richtige Richtung zu weisen. „Leider können wir nicht überall gleichzeitig sein“, heißt es dazu.

„Hier gilt Schrittgeschwindigkeit“, raunt eine Passantin, als ein Radler in der Fußgängerzone an ihr vorbeidüst. Kein Einzelfall: Kaum einer der Radfahrer verlangsamt auf diesem Abschnitt das Tempo. Und viele Autofahrer scheinen nicht zu wissen, dass sie in der Begegnungszone höchstens 20 km/h fahren dürfen.

Wohl mit ein Grund, dass die meisten Fußgänger in diesem Abschnitt lieber wie bisher den Gehsteig benutzen. Theoretisch dürfen sie in der Begegnungszone die Fahrbahn mit den Autos und Radlern teilen.

Stattdessen flanieren viele gemütlich die rot bepinselte Busspur in der Fußgängerzone entlang. „Wir haben nicht gewusst, dass das nicht erlaubt ist“, sagt ein Paar, das aus Salzburg zu Besuch ist. „Hier wird man sicher noch nachbessern müssen“, sagt Leopold Wurm, Betriebsrat bei den Wiener Linien. Eine fixe Nachbesserung kündigen die Verkehrsbetriebe schon nach wenigen Stunden Probebetrieb an: Wo der 13 A in die Kirchengasse einbiegt, brauche es eine bauliche Änderung, damit Radfahrer und Fußgänger mehr Platz haben. Außerdem will man die Ampelschaltungen für die Busse auf eine mögliche Optimierung hin prüfen.

Lebensqualität

Von solchen Kinderkrankheiten lassen sich viele der Premierenbesucher freilich nicht die gute Laune verderben. „Das wird eine total neue Lebensqualität“, freut sich Gerhard Jäger, der gerade mit dem Rad unterwegs ist. „Man muss sich halt etwas neu orientieren und mehr Rücksicht auf die anderen nehmen.“
Nagelprobe „Wir haben bewusst den Start in diese verkehrsarmen Tage gelegt, damit es sich einspielen kann und nicht gleich die harte Situation vorhanden ist“, gibt sich auch die zuständige Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) bei einem ersten Lokalaugenschein entspannt. Die Nagelprobe komme in ihren Augen erst Anfang September, wenn die Sommerferien vorbei sind.

Für besondere Verwirrung sorgen laut Polizei die gelben und weißen Linien in der Mariahilfer Straße. Die weißen Striche markieren den Rand der Fahrbahn, die parallel dazu verlaufenden gelben Linien zeigen das Halte- und Parkverbot an. Dieses gilt grundsätzlich in der gesamten Mariahilfer Straße. Halten ist nur in drei sogenannten Kiss&Ride-Zonen erlaubt (Höhe Getreidemarkt, Kirchengasse, Kaiserstraße).

Offenbar wissen das viele Autofahrer nicht: Freitagvormittag parkten noch zahlreiche Pkw in der neu geschaffenen Begegnungszone. Vorläufig geht die Polizei aber noch nachsichtig mit den Parksündern um.

Das reicht dem ÖAMTC nicht. Er kündigt ein Musterverfahren wegen der neuen Bodenmarkierungen an. Der Club hält sie für verwirrend und zweifelt an deren Zulässigkeit. „Die gelben Linien sind seit 2011 in der StVO erlaubt“, heißt es dazu im Büro von Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne). In Linz seien sie bereits im Einsatz.

Einkaufsstraßen laden zum Flanieren und Spazieren ein. Am sichersten ist das für Fußgänger, wenn sie von möglichst wenigen Fahrzeugen umgeben sind. In Europa hat sich deshalb das Konzept der Fußgängerzone durchgesetzt. Hierbei sind Fußgänger gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern bevorzugt. Als erste Fußgängerzone Europas wurde 1953 die Lijnbaan in Rotterdam (Niederlande) autofrei.

Mit über vier Kilometern zählt die Ulica Piotrkowska in Lodz in Polen zu den längsten Fußgängerzonen Europas. Ebenfalls ganz vorne dabei ist die Strøget in Kopenhagen (3,2 km). Weitere große Fußgängerzonen: die Hauptstraße in Heidelberg, Deutschland (1,6 km), sowie die Rue St. Catherine in Bordeaux, Frankreich (1,2 km).

Abends kommt der Lido di Jesolo (Italien) dazu. Denn jeden Abend verwandelt sich die neun Kilometer lange Straße in eine autofreie Zone.

Als eine der begehrtesten Einkaufsstraßen gilt die Fußgängerzone in München zwischen Karlsplatz und Marienplatz. 15.000 Personen flanieren pro Stunde durch die „Rempelmeile“, wie sie wegen der Fülle an Menschen öfters genannt wird.

Begegnungszonen

Als weiteres Konzept zur Verkehrsberuhigung setzt sich die Shared-Space-Variante Begegnungszone immer mehr durch. Dieses Modell wurde in den 1980ern in der Schweiz entwickelt.

Der Unterschied zu den klassischen Shared-Space-Zonen: Es dürfen nur 20 km/h anstatt 50 km/h gefahren werden. Parken ist nur auf markierten Flächen erlaubt. Des Weiteren haben Fußgänger Vortritt, während in der Shared-Space-Zone alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt sind.

Die erste „Flanierzone“ wurde 1995 in Burgdorf (Kanton Bern) errichtet. Nach erfolgreicher Erprobung wurde das Konzept 2002 offiziell eingeführt. Mittlerweile gibt es in der Schweiz über 200 Begegnungszonen. Im Jahr 2005 folgte Belgien, 2008 dann Frankreich.

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