Die Gelegenheit, von Menschen aus erster Hand über ihr Schicksal in der NS-Diktatur zu erfahren, wird immer seltener. Die meisten noch lebenden Zeitzeugen, die den „Anschluss“ an Hitler-Deutschland 1938, Verfolgung und Vertreibung durch die Nazis erlitten haben, waren damals noch im Kindes- und Jugendalter.
Diese Woche kehrten rund 30 jüdische Emigranten in die Stadt ihrer Kindheit zurück, begleitet von Verwandten oder Freunden. Eingeladen hat sie der Jewish Welcome Service, der seit den 1980er-Jahren jüdische Emigranten nach Wien bringt, um ihnen die Schwellenangst zu nehmen. Mindestens 3500 Emigranten, so JWS-Generalsekretärin Susanne Trauneck, sahen so ihre alte Heimat wieder.
Selbst wenn sie 1938, 1939 noch Kinder waren: Die Erlebnisse damals und die Folgen sind ihnen ins Gedächtnis eingebrannt. Kaum einer der 30 Emigranten kam ohne Vorbehalte nach Wien. Kurt Quinton, geboren 1935, flüchtete mit vier Jahren im August 1939 mit dem letzten Kindertransport vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nach Großbritannien. Er gesteht im KURIER-Gespräch: „Ich will niemanden beleidigen – aber ich fühle mich doch jedes Mal etwas unwohl, wenn ich hierher komme. Zu viele Jahre lang haben die Österreicher vorgegeben, sie seien nicht dabei gewesen.“ Dabei ist Quinton, der heute in New York lebt, erfahrener Wien-Besucher: Sein Vater war einer der wenigen jüdischen Vertriebenen, die kurz nach Kriegsende zurückkamen.
Vorbehalte
Auch die Komponistin Erika Fox – geboren 1936, seit der Flucht 1939 lebt sie in Großbritannien – hat keine angenehme Erfahrung mit der Rückkehr: Als sie 1990 zum ersten Mal in Wien war, kam sie zum Haus, in dem ihre Eltern gelebt hatten: „Ich fand eine Familie vor, die schon vor dem Krieg dort gewohnt hat. Die taten so, als hätten sie nie von uns gehört. Ich weiß, dass das eine Lüge war. Eine schlimme Erfahrung!“
Erst gute Freunde brachten Erika Fox dazu, wiederzukommen. „Am liebsten würde ich in Wien von Konzert zu Konzert pilgern“, schwärmt die Komponistin heute. „Dass ich eine Staatsopern-Aufführung sehe, freut mich ungemein.“
„Ohne Hass und ohne Hemmungen“ ist dagegen der 76-jährige Israeli Robert Perels nach Wien gekommen. Er war noch keine zwei Jahre alt, als seine Mutter 1939 mit ihm fliehen musste. Ihre Odyssee führte sie nach Frankreich. 1942 mussten sie sich sieben Monate lang im Freien in einem Erdloch verstecken. Sie wurden erwischt und in einen Transport ins KZ Auschwitz gesteckt. Bei einem Zwischenstopp warf die Mutter geistesgegenwärtig ihren fünfjährigen Sohn aus dem Zug – eine junge Jüdin, ebenfalls auf der Flucht, rettete ihn. Seine Mutter wurde im KZ ermordet.
„Wir kommen vom anderen Ende der Welt“, zitiert ein Emigranten-Ehepaar Papst Franziskus. 1939 verschlug es sie nach Argentinien. In Buenos Aires haben sie Jorge Mario Bergoglio als Erzbischof von Buenos Aires mehrmals in der jüdischen Gemeinde der Stadt erlebt. Heute sind sie zuversichtlich: „Wir hoffen sehr, dass mit dem Papst aus Argentinien das Verhältnis Katholiken/Juden verbessert wird.“ Versöhnlicher Aspekt einer beeindruckenden Rückkehr von Vertriebenen nach Wien.
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