Ein „Überraschungsei“: Wiens erster Bücherschrank feiert Geburtstag

Ein „Überraschungsei“: Wiens erster Bücherschrank feiert Geburtstag
Mittlerweile gibt es die Schränke in der ganzen Stadt. Das Geheimnis hinter dem Erfolg.

Rund 91.000 Bücher jährlich verlassen den offenen Bücherschrank in der Zieglergasse Ecke Westbahnstraße. 250 Bücher passen hinein, ungefähr einmal am Tag werden alle Bücher von den Bücherschrank-Nutzern ausgetauscht, sagt Frank Gassner, der am 5. Februar vor 13 Jahren hier den ersten offenen Bücherschrank Wiens installiert hat. „Als ich den Schrank damals aufgestellt habe, wurde das Projekt zum Scheitern verurteilt“, sagt Gassner. Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts hat sich aber einiges getan: 48 Bücherschränke gibt es in Wien mittlerweile.

Ein „Überraschungsei“: Wiens erster Bücherschrank feiert Geburtstag

Frank Gassner hat 2010 den ersten Bücherschrank Wiens installiert

Als Erfinder der Bücherschränke empfindet sich Frank Gassner dennoch nicht. „Die Zeit damals war reif dafür. Ich habe es gemacht. Es hätte aber auch jemand anderes machen können.“ Die Idee, etwas abzugeben, das man nicht mehr braucht, sei nämlich mehr als banal, sagt Gassner. Und Bücher eignen sich dazu besonders gut. „Durch die Wiederverwendung erfahren sie keine Wertminderung. Vor allem nicht inhaltlich“. Bei vielen anderen Dingen sei das nicht so. „Tauschboxen für andere Objekte funktionieren nicht. Sie verwandeln sich sehr schnell in Sperrmüllanlagen mit kaputten Geräten und Möbeln.“

Abnehmer für alles

Bücherschränke dagegen verwalten sich selbst. Kuratiert wird der Schrank in der Zieglergasse/Westbahnstraße nämlich nicht. „Der Bücherschrank ist keine Bibliothek, er ist ein Überraschungsei.“ Kein Wunder also, dass einige Bücher immer wieder im Schrank stehen. Besonders oft sind es etwa Werke von Heinz Konsalik, sagt Gassner. „Der hat aber auch unglaublich viel produziert.“ Dennoch finde sich für jedes Buch ein Abnehmer. Sogar für Telefonbücher, sagt Gassner.

Gleichzeitig aber zeige das ein gesellschaftliches Problem auf: Ist etwas gratis, nehmen sich die Menschen viel zu viel. „Ich habe bestimmt schon zahlreiche Wohnungen mit Büchern vermüllt. Und die Erben bringen die Bücherstapel der verstorbenen Oma irgendwann wieder zum Schrank.“ Auch mit Diebstahl und anschließendem Weiterverkauf habe Gassner schon Erfahrungen gemacht. Und dennoch laufe der Lebenszyklus des Bücherschranks weiter. „Das ist das Wunder der Gemeinschaft.“

Ein „Überraschungsei“: Wiens erster Bücherschrank feiert Geburtstag

Der Schrank in Neubau steht nicht umsonst schief

Aber nicht jeder Bücherschrank funktioniert. Entscheidend sei etwa der Standort, sagt Gassner. Wichtig sei eine hohe Besucherfrequenz. Aber auch der Bücherschrank selbst müsse passend konzipiert sein. „Meiner ist also nicht umsonst schief“, sagt Gassner. Einerseits rinne dadurch das Regenwasser ab und die Türen fallen von selbst zu. Andererseits tendieren Bücher zum Umfallen, in einem schiefen Bücherschrank bleiben sie aber gerade stehen, sagt Gassner.

Eine Telefonzelle als Bücherschrank dagegen empfindet Gassner als funktional unbrauchbar. „Man muss den öffentlichen Raum verlassen, um in die Telefonzelle einzutreten.“ Das erhöhe die Schwelle für die Benutzung enorm.

Vandalismus

Ganz ohne Vandalenakte ist aber auch dieser Bücherschrank nicht über die vergangenen 13 Jahre gekommen. Immer wieder seien Schmierereien aufgetaucht. Darum kümmert sich Gassner persönlich: „Mit der Zeit lernt man, wie man das am besten wegbringt.“ Das äußere Erscheinungsbild sei nämlich wichtig, damit der Schrank auch weiterhin einladend wirkt. Und die Tausenden Bücher nicht irgendwann ohne Zuhause dastehen.

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