Ein "Liebesbrief" mit Folgen: Hilfe in der Nachbarschaft wird immer populärer
"Ein Liebesbrief war in meinem Postkasten", erzählt Romana Lakinger und lacht. Der sogenannte Liebesbrief – "es war eigentlich ein sehr nettes Info-Schreiben" – habe sie bewogen, mitzumachen: Und zwar beim Nachbarschafts-Netzwerk FragNebenan, dem in Wien mittlerweile mehr als 21.000 Menschen angehören. Die Ziele? Gegenseitige Hilfe, Freunde finden, Konflikte lösen. Der KURIER sprach mit drei Teilnehmern über ihre Motive, ihre Erfahrungen – und über Haifischgebisse.
Wer dem Netzwerk beitreten möchte, muss sich online registrieren: Das tat auch die Schauspielerin Lakinger. Seit drei Jahren wohnt sie im 6. Bezirk: "Ich wollte endlich nette Leute in meiner Nachbarschaft kennenlernen." Einmal angemeldet, erhält man Benachrichtigungen über Anfragen und Angebote aus der näheren Wohnumgebung.
Hilfe beim Renovieren
Das erste Projekt, das Lakinger mithilfe ihrer Nachbarn verwirklichte, war die Renovierung ihrer Küche: Sie bekam Klebebänder und Malerrollen – Lakinger ihrerseits konnte Farbe weiterschenken: "Ich habe selbst bloß ein Zehntel des Topfes gebraucht." Mit dem Rest wurden Räume in drei weiteren Wohnungen verschönert. Mittlerweile habe sie mehr als zwanzig Leute über das Netzwerk kennengelernt und auch schon einige Freundschaften geschlossen.
Andere traten schlicht aus Neugier bei: "Ich bin Psychologin und war gespannt, wer da dabei ist", sagt Brigitta Bunzel und lacht. Bereits kurz nach ihrem Beitritt versorgte sie allerlei Nachbarn mit Himbeeren: "In meinem Schrebergarten wurden die Himbeerstauden zu groß, ich wollte sie entsorgen. Stattdessen wachsen sie nun in mehreren Hinterhöfen im 6. Bezirk." Auch Bücher und Geschirr habe sie ihren Nachbarn schon geschenkt.
Der Sprachtrainer und Filmemacher Tilman-Otto Wagner fand über FragNebenan gar seine Traumwohnung: "Ich habe jahrelang Wohnung gesucht, und es hat nie richtig gepasst. Seit zwei Monaten habe ich eine, die genau meinen Vorstellungen entspricht."
Kann die Plattform auch dabei helfen, Konflikte zu lösen? "Ja, auch das gibt es", erwidert Bunzel: Kürzlich etwa gab es Streit, weil einer Mieterin die Gitarrenmusik eines Nachbarn zu laut war. "Auf FragNebenan erklärte jemand, welche technischen Möglichkeiten es gibt, um die Lautstärke zu dämpfen." Nun sei es leiser – und die Nachbarn wieder versöhnt.
Kuriositäten
Zuweilen seien auch amüsante Anfragen dabei: Erst kürzlich habe jemand zu viel Pizzateig zubereitet, erzählt Lakinger. Das Ergebnis: In fast allen Wohnungen des Hauses wurde an diesem Abend Pizza serviert. Im Sommer, erzählt Bunzel, habe jemand gar einen Abnehmer für ein 30 mal 40 Zentimeter großes Haifischgebiss gesucht.
Wagner mutmaßt außerdem, dass es vielen Teilnehmern weniger um das Materielle, sondern vielmehr um das Menschliche gehe. Er fragt auch Lakinger und Bunzel: "Glaubt ihr, dass es wirklich nur um den Austausch von Gütern geht? Oder geht es in einer Zeit, in der es so viele Single-Haushalte gibt, nicht auch um Kontaktaufnahme?"
Beide pflichten ihm bei: Es gehe nicht nur um das Zusammenhelfen, sondern auch um das Zusammentreffen. "Vielleicht geht es irgendwann einmal sogar bis zur Eheschließung oder Adoption", sagt Wagner und lacht.
Ende 2015 waren in ganz Wien bereits 21.478 Menschen beim Nachbarschaftsnetzwerk FragNebenan registriert. 753 davon wohnten im 6. Bezirk. Ebenfalls sehr viele aktive Mitglieder leben im 2., 3., 7., 15. und im 17. Bezirk.
Wer mitmachen kannTeilnehmen können alle interessierten Nachbarinnen und Nachbarn: Es geht darum, seine Nachbarn kennenzulernen und sich bei Bedarf gegenseitig zu helfen. Die Registrierung ist jederzeit im Internet unter fragnebenan.com möglich.
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