Ein Kindergarten in Wien-Favoriten zeigt, wie Inklusion funktionieren kann

Valentin (Name geändert, Anm.) sitzt in einem aufblasbaren Schwimmbecken und zieht sich einen Arztkittel über. Der Bub mit Trisomie 21 liebt Rollenspiele. Und die Kinder lieben ihn.
Der Bub ist einer von zwanzig Kindern mit besonderem Förderbedarf, die den Leuchtturm-Kindergarten besuchen. 80 Buben und Mädchen kommen in die Kinderfreunde-Tagesstätte in Wien-Favoriten. Das Miteinander von Kindern mit und ohne Förderbedarf ist hier Alltag: Den Umgang mit Kindern, die etwas anders sind, üben die Kleinsten hier täglich.
Wie normal das Miteinander hier ist, zeigt sich ein paar Minuten später: Plötzlich ertönt im Raum ein schriller Schrei. Menschen jeden Alters würden da wohl kurz aufschrecken und sich fragen, was da los ist. Doch in dieser Gruppe kennen alle den Buben, der da gerade seine Gefühle ausgelebt hat. Alle machen weiter, als ob nichts gewesen wäre.
Für Alexandra Fischer, Geschäftsführerin der Wiener Kinderfreunde, zeigt sich damit, wie sehr alle Kinder von diesem Miteinander profitieren. „Sie erwerben Sozialkompetenz und lernen gleichzeitig auch ihre eigenen Grenzen kennen.“ Die Leiterin des Kindergartens, Andrea Köhler, erzählt stolz, wie sehr die Kinder in einer Gruppe einer neuen Pädagogin geholfen haben, mit dem autistischen Buben umzugehen. „Der braucht jetzt einfach seine Ruhe“, erläuterten sie zum Beispiel.
Ein Extraraum, ein Zelt oder Kopfhörer
Zum Glück gibt es dafür ausreichend Rückzugsmöglichkeiten – ein kleiner Extraraum oder ein Zelt. Wenn das nicht ausreicht, gibt es immer noch einen Kopfhörer und das Kind ist für einige Zeit von allen Reizen abgeschirmt, die bei ihm Stress verursachen.
Das Besondere an dem Leuchtturm-Kindergarten, der mit seinem Konzept weit über den Standort hinaus strahlt: Hier gibt es nicht nur das notwendige zusätzliche Personal, das alle Gruppen brauchen, die besondere Kinder betreuen, wie Projektleiterin Alexandra Csar erklärt.
„Wir haben multiprofessionelle Fachleute, die anwesend sind, etwa eine Psychologin, eine Logopädin, eine Familienberaterin oder eine Sozialarbeiterin“, freut sich Andrea Köhler. Auch die Zusammenarbeit mit den Eltern ist hier Teil des Konzepts.
Und die ist gerade bei Müttern und Vätern, deren Kinder anders sind, besonders wichtig: „Diese Eltern haben zum Beispiel erlebt, dass ihr Kind von einem Kindergarten abgemeldet wurde, weil die Pädagoginnen mit ihnen und den bestehenden Rahmenbedingungen überfordert waren“, erzählt Csar.
Verächtliche Blicke, zusätzlicher Stress
Besonders beschämend sind für solche Eltern auch Erlebnisse in der U-Bahn: „Insbesondere Autisten sind mit solchen Situationen überfordert und schreien. Oft gibt es dann verächtliche Blicke, die den Eltern vermitteln, dass sie nicht fähig sind, ihren Nachwuchs zu erziehen.“ Das müssen insbesondere Mütter dauernd aushalten. Ein zusätzlicher Stress, dem sie ausgesetzt sind – als ob ein solches Kind nicht schon so häufig besonders anstrengend ist. Scham und Ohnmachtsgefühle sind Alltag.
"Brauchen emotionale Unterstützung"
Nicht nur Passanten, auch manche Pädagogin ist oft wenig einfühlsam. „Dabei brauchen diese Eltern die emotionale Unterstützung ganz besonders“, unterstreich Andrea Köhler. Im Leuchtturm-Kindergarten begegnet man ihnen deshalb auf Augenhöhe: „Wir bewerten nicht und vermitteln ihnen, dass sie die Experten für ihr Kind sind.“
Wer sich verstanden fühlt, nimmt nicht nur Ratschläge an, er ist auch sehr dankbar. Wie sehr, zeigt der Satz einer Mutter: „Ihr wisst ja gar nicht, wie gut ihr uns getan habt.“
Hilfe gibt es zum Beispiel bei der Suche nach Therapieplätzen für Logopädie, Psychotherapie etc. Die sind oft kaum zu bekommen. „Besonders wenn man jemanden sucht, der einen Kassenvertrag hat“, weiß Alexandra Fischer. Und privat können sie sich diese auch nicht leisten. Es ist ein Teufelskreis: „Wer ein Kind mit besonderen Bedürfnissen zu betreuen hat, kann oft gar nicht oder nur in geringem Umfang arbeiten und hat dadurch eh weniger Geld im Börsel.“
Leuchtturmkindergarten: Das Projekt wurde gemeinsam von den Wiener und von den österreichischen Kindergärten bei „Licht ins Dunkel“ eingereicht – schließlich soll es Vorbildwirkung für das ganze Land haben.
Mehr Platz: Ein Regelkindergarten mit 6 Gruppen wurde zu einem inklusiven Kindergarten mit 4 Gruppen mit multidisziplinärem Team gemacht. Das heißt: Fachleute aus den Bereichen Sozialarbeit, Logopädie, Physiotherapie, Psychologie, Inklusionspädagogik, Ergotherapie sind regelmäßig vor Ort.
Elternarbeit: Eine Sozialarbeiterin vor Ort, eine Familienberatungsstelle sowie ein wöchentliches mehrsprachiges Eltern-Kind-Café runden das Angebot ab.
Formulare, Formulare, Formulare
Melissa Pomberger, Sozialarbeiterin im Haus, steht da zum Glück zur Seite. „Denn es gibt durchaus Fördermöglichkeiten“, weiß sie. Doch das muss man wissen. Mehr noch: Es braucht da für alles ein Extraformular. Und dieses auszufüllen, fällt oft auch Menschen schwer, die jeden Tag mit Bürokratie zu tun haben.
Wie mühsam es ist, haben die Kinderfreunde selbst erlebt. „Als wir das Projekt gestartet haben, wussten wir oft nicht, welche Vorgaben wir einzuhalten haben oder an wen wir uns zu wenden haben“, erzählt Fischer.
Mittlerweile hat sich aber alles eingespielt. Mehr noch: „Das, was wir schaffen wollten, nämlich ein Vorzeigeprojekt für gelebte Inklusion, haben wir umgesetzt. Wir bieten allen Buben und Mädchen einen bestmöglichen Start ins Leben.“ Mehr noch: „Pädagoginnen aus anderen Häusern kommen uns besuchen, machen mit uns gemeinsam Fortbildungen. Das war auch unser Ziel.“
Was Pädagoginnen, Fachpersonal und Eltern traurig macht: Die Finanzierung des Projekts ist nur bis Ende des Jahres gesichert – unterstützt wird es seit September 2023 vom Jubiläumsfonds von „Licht ins Dunkel“.
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