Ein Jahr Michael Ludwig: Auf der Suche nach neuen Gegnern
Sein erstes Jubiläum hatte sich Michael Ludwig anders vorgestellt. Statt im Rampenlicht stand er zuletzt im Halbdunkeln – und musste als lebendes Bühnenbild im Dienste seiner Bundesparteichefin Pamela Rendi-Wagner böse Miene zum bösen Spiel machen: Als die SPÖ-Chefin am Sonntag – denkbar unbeholfen inszeniert – den Misstrauensantrag gegen die türkise Regierungsmannschaft im ORF verkündete, blickte ihr Ludwig wie versteinert über die Schulter.
Michael Ludwig ist seit einem Jahr Bürgermeister der Stadt Wien. Am 24. Mai jährte sich die Amtsübernahme von Langzeit-Stadtoberhaupt Michael Häupl.
Dass das Jubiläum ausgerechnet von der türkis-blauen (Ex-)Bundesregierung überschattet wurde, entbehrt – bei allem Ernst der derzeitigen Lage – nicht einer gewissen Komik.
Denn die Geschichte von Ludwigs unleugbarem Erfolg als Bürgermeister ist nicht zuletzt die Geschichte eines teils wohlfeil inszenierten Konflikts: Bund gegen Stadt – so lautete der Kleinkrieg, den Türkis-Blau mit Rot-Grün austrug. Ludwig nahm den Fehdehandschuh auf und spielte mit Engagement mit. Mindestsicherung, Arbeitslosigkeit, Betriebsansiedelungen; zuletzt die Regierungskrise selbst: Kein Thema war in den vergangenen Monaten zu wichtig (oder zu unwichtig), um es nicht für die Inszenierung zu nutzen.
Ludwig hat der gescheiterten türkis-blauen Regierung so gesehen viel zu verdanken. Mehr, als er vielleicht zugeben würde.
Doch der Reihe nach.
Gespaltene Partei
Als sich Ludwig um das Amt des Wiener SPÖ-Chefs (und damit des Bürgermeisters) bewarb, da stand es nicht sonderlich gut um die Partei. Sie war gespalten. Bei der Suche nach dem Nachfolger für Michael Häupl ließ man es auf eine Kampfabstimmung ankommen. Auf der einen Seite stand Michael Ludwig, Kandidat der Flächenbezirke und für viele innerhalb der Partei zu wenig „links“. Auf der anderen Seite stand Andreas Schieder. Ludwig konnte sich – für viele durchaus überraschend – mit 57 zu 43 Prozent gegen Schieder durchsetzen.
Michael Ludwig wurde Parteichef und Bürgermeister; Andreas Schieder wurde glückloser EU-Spitzenkandidaten der SPÖ.
Anfangs blieb Ludwig farblos. Der Scherz, seine einzige politische Leistung habe darin bestanden, dem „Herzerlbaum“ – eine Art überdimensionaler Adventschmuck – vorm Rathaus neues Leben einzuhauchen, hielt sich hartnäckig. Ganz falsch war der Scherz nicht.
Dann kam Bundeskanzler Sebastian Kurz – und richtete den Wienern sein Missfallen darüber aus, dass in der Bundeshauptstadt „immer weniger Menschen in der Früh aufstehen, um zu arbeiten“. Ludwig erwachte aus dem Polit-Schlaf.
Doppel-Strategie
Seither fährt der Bürgermeister eine spannende Doppelstrategie. Auf der einen Seite kultiviert er – in bester Häupl-Manier – den Widerstand gegen Türkis-Blau. Bestes Beispiel: Der Streit um die Kürzung der Mindestsicherung, bei der man sich wechselseitig mit dem Gang vor Gericht drohte. Die (Dauer-)Auseinandersetzung hilft Ludwig, intern und öffentlich sein Profil zu schärfen.
Auf der anderen Seite kapert er nur allzu gerne Themen der Regierung, an denen Teile der Wiener SPÖ eigentlich nur ungern anstreifen. Seien es das Ess-Verbot in den Öffis, das Alkoholverbot auf dem Praterstern oder die Waffenverbotszonen in der Stadt: Ludwig gefällt sich in der Rolle des sozialen Law-and-Order-Politikers. Auch der sogenannte „Wien-Bonus“ – also die Bevorzugung von Menschen, die länger in Wien leben als andere – ist seine Idee. Er weitete ihn vom Wohnbau auf andere Bereiche aus.
Seine Stadträte lässt er jeweils die eine oder die andere Flanke abdecken. Sozialstadtrat Peter Hacker warf sich in jede Schlacht gegen Türkis-Blau. Umweltstadträtin Ulli Sima hingegen trägt den inoffiziellen Ehrentitel der „Verbotsstadträtin“. Nach dem Öffi-Essverbot treibt sie nun harte Strafen für Listenhund-Besitzer voran.
Neue Stärke
Die Partei hat Michael Ludwig überraschend schnell geeint. Bei seiner ersten Wiederwahl am Landesparteitag im April dieses Jahres erhielt er respektable 90,8 Prozent. Ein Vergleich: Als er 2017 (damals noch als Wohnbaustadtrat) ins Parteipräsidium gewählt wurde, stimmten lediglich 67,8 Prozent der Delegierten für ihn.
Dass Ludwig das gelang, dürfte nicht zuletzt an der Zusammensetzung seines Stadtrat-Teams liegen: Er mischte altbekannte mit neuen Gesichtern, sendete Signale an die „Linken“ und an die weniger linken Flächenbezirke. Mit Altlasten der Häupl-Ära (Stichwort: Unregelmäßigkeiten bei stadtnahen Vereinen) versucht er aufzuräumen. Zu Wiens Nachbarn Niederösterreich und Burgenland intensivierte er die Kontakte. Die Grünen stellen – mit der unerfahrenen künftigen Chefin Birgit Hebein – keine Gefahr dar.
Jetzt kommt der Wahlkampf
Mit dem Ende von Türkis-Blau hat Ludwig einen Reibebaum verloren. Ob er ihn nach der Nationalratswahl (und somit rechtzeitig vor der Wien-Wahl 2020) zurückerhält, ist mehr als ungewiss.
Ludwigs Präferenzen für die Zeit nach der Wien-Wahl sind klar: Weg von Grün, hin zu Schwarz. Nicht zu Türkis. Und keinesfalls anstreifen mit der FPÖ; das hat er von Michael Häupl gelernt. Dass er sich einen schwarzen Juniorpartner suchen kann, ist nicht unwahrscheinlich. Mit (dem schwarzen) Wirtschaftskammer-Wien-Chef Walter Ruck verbindet ihn eine politische Freundschaft; die Türkisen innerhalb der Wiener ÖVP sind seit dem Ende der Koalition etwas schaumgebremst.
Mit dem Wahlkampf für die Nationalratswahl im September wird sich das wohl ändern. Dann kann – und muss – Michael Ludwig beweisen, wie stark die Wiener Sozialdemokratie ist. Bei der EU-Wahl hat er vorgelegt und entgegen dem Bundestrend ein deutliches Plus für die SPÖ geholt.
Dass Ludwig nach der Wien-Wahl im Rampenlicht steht, davon ist auszugehen. Ob Pamela Rendi-Wagner auf diesem Bild zu sehen sein wird, ist offen.
„Kluft in der Partei geschlossen“
Hannes Swoboda, Ex-SPÖ-Stadtrat: „Michael Ludwig ist ein anderer Typ als Michael Häupl, der gerne fesche Sprüche losließ. Das ist dem neuen Bürgermeister nicht so wichtig. Ludwig ist es aber gelungen, die Kluft, die sich in der Wiener SPÖ aufgetan hat, wieder zu schließen. Er hat auch ein Stadträte-Team zusammengestellt, das sehr gut miteinander arbeitet. Sachpolitisch hat er den sozialen Wohnbau wieder angekurbelt. Nach der Phase der Konsolidierung braucht es nun aber eine Vision, wie das Wien der Zukunft aussehen soll, wie der soziale Zusammenhalt gefördert werden soll. Auch die ökologische Frage muss damit verbunden werden.“
„Politik der Verschleierung“
Dominik Nepp, FPÖ-Vizebürgermeister: „Michael Ludwig hat entschieden weniger Unterhaltungswert als Michael Häupl. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger ist Ludwig noch weniger präsent und sitzt abgeschottet in seinem Büro. Wie viele Wiener wissen eigentlich, wer Bürgermeister der Stadt ist? Ludwig hat es geschafft, die Politik von Verschleierung, Vertuschung und Freunderlwirtschaft weiterzuführen. Das ist zwar für die SPÖ positiv, allerdings leiden die Wiener darunter. Ein zerbröselndes Gesundheitssystem, unleistbare Mieten, soziale Ungerechtigkeit und ein exorbitantes Budgetdefizit. Die Auflistung der Missstände würde hier den Rahmen sprengen.“
„Es gibt ein neues Miteinander“
Silvia Nossek, grüne Bezirksvorsteherin in Währing: „Michael Ludwig hat gleich nach Amtsantritt alle 23 Bezirksvorsteher getroffen. Das gab es davor viele Jahre nicht mehr. Mit Persönlichkeiten wie Veronica Kaup-Hasler hat er ein sehr interessantes Team geformt. Es gibt ein neues Miteinander mit dem grünen Koalitionspartner, aber auch zwischen den Stadträten. Ich hoffe nur, das man sich der Herausforderung des Klimawandels stellt. Das fehlt mir noch. Hier muss man auch den Fokus auf das Nulldefizit hinterfragen. Denn um den Klimawandel zu bewältigen, wird es große Investitionen brauchen. Mit Sparen wird man dieses Problem nicht lösen können.“
„Herzerlbaum ist zu wenig“
Markus Wölbitsch, ÖVP-Stadtrat: „Michael Häupl war sicher eine starke Marke. Wofür Michael Ludwig steht, ist noch nicht klar. Er versucht, es allen Flügeln in der SPÖ Wien recht zu machen. Bei wichtigen Themen wie Weltkulturerbe, Mindestsicherung, Lobau-Tunnel und den Tausenden leer stehenden Gemeindewohnungen ist nichts weitergegangen, dafür gibt es schwammige Ankündigungen und den wieder aktivierten Herzerlbaum auf dem Christkindlmarkt. Das ist zu wenig. Die SPÖ Wien behandelt die Stadt weiter wie ihr Eigentum: Versorgungsjobs für Ex-Stadträte, kein Schuldbewusstsein beim Krankenhaus Nord, zig Skandalfälle.“
„Wenig frischer Wind zu spüren“
Christoph Wiederkehr, Landessprecher der Neos: „Michael Häupl hatte zumindest einen guten Schmäh. Wir sehen aber politisch wenig Veränderung. Wien macht nach wie vor Hunderte Millionen Schulden, und die SPÖ behandelt die Stadt weiter wie ihr Eigentum. Da ist wenig frischer Wind zu spüren. Wir finden zwar den Bau und Standort der Mehrzweckhalle für sinnvoll, darüber hinaus gibt es wenig konkrete politische Maßnahmen. Wir sehen in der Gesundheitspolitik, dass Wien immer stärker in eine Mehrklassen-Medizin rutscht. Übervolle Ambulanzen und immer weniger Kassenärzte sind sichtbare Zeichen dafür, dass die Versorgungslage immer schlechter wird.“
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