Donaustadt: Der Bezirk ohne Eigenschaften
Die Liebe der Wiener zum 22. Bezirk war und ist enden wollend. Nicht einmal einen ordentlichen Namen haben sie für ihn gefunden. Denn die Donaustadt lag eigentlich zwischen Riesenrad und Donau. Da sich der Name dort aber nicht durchgesetzt hat, wurde er kurzerhand geändert – in Stuwerviertel. Die Donaustadt hat deshalb nun einen Allerweltsnamen und ist der einzige Bezirk in Wien (außer der Inneren Stadt), der nicht nach einem Ortsteil benannt worden ist.
Auch deshalb fehlt dem Bezirk und seinen Bewohnern bis heute eine Identität. Es gibt kein Meidlinger L. Es ist kein migrantischer Bezirk wie Ottakring oder Favoriten und Bobos wie in Mariahilf oder Neubau sucht man vergebens.
Das Gebiet des flächenmäßig größten Bezirkes war für die Stadt im wahrsten Sinne des Wortes ein Misthaufen. Schon seit dem 19. Jahrhundert wird hier der Müll der Großstadt entsorgt und heute liegt am Rautenweg die letzte Deponie.
Die ehemaligen Slums
Auch die Slums der Stadt, das sogenannte „Bretteldorf“, waren hier. Mittlerweile sind die damals angelegten Parzellen der heruntergekommenen Bretterhütten jene, die rund um die Alte Donau mit Badehäusern bebaut wurden.
Und hier an der Alten Donau findet man jetzt keinen Platz mehr ohne eine große Brieftasche. Der Vorstand einer der größten heimischen Versicherungen vertraute dem KURIER einmal an, dass er sich mit seinem Gehalt dort keine Wohnung leisten könne. Das Preis-Niveau sei einfach zu hoch.
Das zeigt auch schon die Unterschiede in diesem Mega-Bezirk. Wer hier wohnt, wird zwar selten und ungern besucht, man trifft sich mit seinen Freunden lieber in der Stadt und nicht in Transdanubien. Wer dennoch als Besucher die Donaustadt ansteuert, kommt oft über die Reichsbrücke und kann schon bei der Einfahrt die Vielfalt des Bezirkes sehen.
Rechter Hand erstreckt sich – das eher SPÖ-dominierte – Kaisermühlen. Im Goethehof (677 Wohnungen) und im etwa halb so großen Schüttauhof sind die roten Machtverhältnisse aus SPÖ-Sicht noch „in Ordnung“. Bekannt sind die zwei Gemeindebauten durch den Kaisermühlen Blues – ein TV-Denkmal.
Die höchsten Bauwerke
Links der Wagramer Straße hingegen liegen die Donauplatte und die zwei höchsten Gebäude des Landes (Donauturm und DC-Tower). Das ist schon eine ganz andere Welt. Da ist die UNO-City, busweise kommen Touristen hierher, um die moderne Skyline anzuschauen. Rund um den Donaupark hatte die ÖVP zuletzt eine Mehrheit. Auch Diplomaten gibt es viele. Die Häuserschluchten haben so gar nichts mit dem beschaulichen Kaisermühlen gemeinsam.
Doch ein Heimspiel hat keine Partei in dem sogenannten Flächenbezirk. Bei den vergangenen Landtagswahlen erreichte die FPÖ fast 39 Prozent, nur zwei Prozentpunkte weniger als die SPÖ.
Das ist insofern überraschend, da die Donaustadt einen wienweit extrem niedrigen Ausländeranteil hat. Wegen der UNO-City sind die Herkunftsländer sehr unterschiedlich, die größte Gruppe machen Polen (2,1 Prozent) aus, gefolgt von Serben (2 Prozent) und Deutschen (1,5 Prozent). Frauen mit Kopftuch sind rar. Aber die blaue Kernklientel ist ein fixer Bestandteil des Bezirks.
Der Bildungsgrad ist geringer als im Rest der Stadt, die Zahl der Lehrlinge und Handelsmitarbeiter ist groß.
Das große Shoppen
Die Donaustadt ist ein Einkaufsbezirk: Das Donauzentrum und der Gewerbepark Stadlau sind zusammen größer als die SCS in Vösendorf. Nirgends gibt es mehr Shopping-Möglichkeiten. Das sorgt natürlich dafür, dass die Mitarbeiter sich im Umfeld ansiedeln.
Und die Donaustadt ist vor allem ein junger Bezirk, das Durchschnittsalter liegt bei nur 39,6 Jahren. Der Grund dafür: Viele Jung-Familien ziehen in die günstigeren Außenbezirke. Auch ist der Bezirk ein Einfallstor für das nördliche Niederösterreich: Von der Achse Mistelbach-Wien ziehen viele junge Leute zunächst in der Donaustadt und später dann weiter in andere Bezirke. Es ist für manche der erste Schritt vom Land in die Großstadt. Das Wort „urban“ ist ein Ausdruck, der in der Alltagssprache der Donaustädter nicht vorkommt bzw. nicht angenommen wird, heißt es in einem Bericht der Stadt Wien über die Zukunft der Donaustadt. Der Bezirk ist für viele wohl eher ein ländlicher.
Acht Wappen statt eines
Dass die Donaustadt nicht homogen ist, zeigt auch schon das etwas wirre Bezirkswappen: Gleich acht Wappen wurden hier zusammengepfercht. Vom Hirschen über einen Adlerflügel, der eher wie ein Indianer ausschaut, bis zum Drachentöter ist alles kreuz und quer über das Wappen verteilt. Die Identität des Bezirkes sucht man vergeblich. Am ehesten passt vielleicht noch eine Mühle, die wie ein Schiff ausschaut. Diese ähnelt wenigstens den Ausflugsbooten auf der Alten Donau.
Inselleben
Man muss sich den Bezirk eher wie ein Land vorstellen, das auf mehrere Inseln aufgeteilt ist. Kleine Ortskerne wie in anderen Bezirken sind Mangelware. Durch die wenigen verbliebenen gehen größere Durchzugstraßen und/oder die Geschäfte wandern ab. Auch der Austausch innerhalb des Bezirkes ist nicht so groß, man bleibt auf seiner Insel. Der durchschnittliche Donaustädter verliert sich leicht im eigenen Bezirk.
Die bekanntesten Donaustädter sind wohl das Verbrechensopfer Natascha Kampusch und David Olatukunbo Alaba, der seine Fußballkarriere im Jahre 2001 beim SV Aspern begann. Von dort gelang ihm der Sprung zur Austria Wien und später zu Bayern München. Auch sonst scheint der Bezirk ein guter Boden für Sportler zu sein, Fußballer, Rallye-Fahrer oder Eishockeyspieler sind hier einige geboren.
Doch selbst ein großer Sportverein als wirklich sinnstiftender Faktor des Bezirkes fehlt, dafür sind etwa die Vienna Capitals zu wenig massentauglich.
Somit wird die Donaustadt wohl noch eine sehr lange Zeit der Bezirk ohne Eigenschaften sein.
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