DJ Crazy Sonic: "Szene muss sich gesundschrumpfen"

Der Pop-up-Club Kantine im alten Zollamt im dritten Wiener Gemeindebezirk muss im Jänner schließen – sucht aber bereits eine neue, diesmal auch fixe Bleibe.
Die Pratersauna soll zusperren, die Grelle Forelle verkleinert sich. Bei den Wiener Clubs kriselt es.

Unruhig war es in der Wiener Clubszene schon länger. Nun werden die Auswirkungen auch für Nicht-Insider sichtbar: Spekulationen um eine Schließung oder zumindest eine Neuübernahme der Pratersauna machen die Runde. Die Grelle Forelle wird ihre Fläche verkleinern. Gleichzeitig versucht das Flex sich nach dem Insolvenzverfahren wieder zu erholen. Der Pop-up-Club Kantine muss mit Jahresende schließen – sucht aber eine neue, diesmal auch fixe Bleibe. Rosige Zeiten sehen in jedem Fall anders aus.

DJ Crazy Sonic: "Szene muss sich gesundschrumpfen"
Flex, Veranstaltungslokal, Disco, am Donaukanal
"Die Wiener Clubszene hat sich selbst kaputtgemacht", sagt Rudi Wrany alias DJ Crazy Sonic. In den vergangenen Jahren sind vermehrt junge Menschen vom (Aus-)Land nach Wien gekommen. In der Folge haben mehrere große Clubs mit ähnlicher Ausrichtung aufgesperrt. Jedoch mehr, als es der Zuzug gerechtfertigt hätte. Nun sind Lokale zum Überleben auf gefüllte Tanzflächen und durstige Besucher angewiesen. Das geht sich derzeit nicht ganz aus.

In nichts nachstehen

Zwar würde Wien laut The Gap-Chefredakteur Stefan Niederwieser in Sachen Enthusiasmus und Feierlaune den anderen Städten in nichts nachstehen. Niederwieser: "In London gibt es wochenends nicht mal eine Nacht-U-Bahn." Erschwerend sei für Clubs aber, dass nahezu wöchentlich Bars aufsperren, in denen man ebenfalls bis in die Nacht trinken, tratschen und manchmal auch tanzen kann. Gut ist das natürlich für die Wiener, denn: "Wiener zahlen nicht gerne Eintritt" sagt Noisey-Chefredakteur Jonas Vogt.

Noch ein Faktor erschwert laut Vogt die Arbeit der Clubmacher: "Die Belastungen durch behördliche Auflagen sind in Wien größer als in Städten wie Berlin oder London. Die Vergnügungssteuer belastet zusätzlich." Niederwieser ergänzt scherzhaft: "Ein Umsiedelungsprogramm für lärmsensible Nachbarn wäre auch eine Idee." Letztlich sei es aber natürlich, dass sich diese Szene bewegt, sagt Vogt. Trotzdem, meint Niederwieser: "Es braucht realistische Einschätzungen, wie Clubs mit einer schwarzen Null arbeiten können. Sonst wartet wie nach einer zugedröhnten Nacht ein massiver Kater."

Rudi Wrany sieht es positiver: "Vielleicht schafft es die Szene, sich gesundzuschrumpfen."

DJ Crazy Sonic: "Szene muss sich gesundschrumpfen"
Rudi Wrany, honorarfrei
Doch nicht nur Clubs, auch Großraumdiscos haben zu kämpfen. Martin Fritz, selbst DJ und Geschäftsführer des Bollwerks, sieht auch die universell verfügbare Musik im Internet als Grund für den Gästeschwund: "Früher habe ich ein Lied nur in der Disco gehört oder teuer eine CD gekauft." Im Gegenzug seien die Besucher anspruchsvoller geworden. "Heute muss man 100-mal mehr machen, um die Jugendlichen anzusprechen." Allerdings ist Fritz überzeugt, dass Discobesitzer mit der richtigen Einstellung auch heute Geld verdienen können: "Discos sind ja nicht out."

Abgang der Jungen

Während die Betreiber in Wien immerhin noch mit einem kontinuierlichen Zuzug an Jugendlichen planen können, kämpfen in den Bundesländern nicht nur die Gemeinden, sondern auch Discos mit Abwanderung. "Früher hat man einfach aufgesperrt und die Leute sind gekommen", erzählt Fritz.

In den 90er-Jahren sowie Anfang der 2000er sind sowohl in der Stadt als auch auf dem Land Discos wie Pilze aus dem Boden geschossen. Die Betreiber witterten das schnelle Geld. Seither hat sich nicht nur wirtschaftlich viel verändert, sondern vor allem auch die Einstellung der Jugendlichen gewandelt, erklärt Jugendforscher Philipp Ikrath.

Wie erklären Sie sich den Wandel in der Discoszene?

In der Zeit des Techno bzw. der Raveszene waren Großraumdiscos der Treffpunkt für Jugendliche. Das hat auch alles klein begonnen und ist schließlich total breit geworden. Ein wichtiges Kennzeichen dafür waren Massenveranstaltungen. Es war wichtig, dass man sich in großen Gruppe getroffen hat, man war Angehöriger einer großen Gemeinschaft.

Inwiefern hat sich die Einstellung geändert?

Heute muss man nicht mehr in der Masse untergehen. Die Kultur hat sich geändert. Die großen Discos sind heute eher Treffpunkt bildungsferner Schichten. Die Mittel- und Oberschicht sucht solche Clubs seltener auf und verteilt sich eher auf kleinere Szenelokale.

Welche Faktoren spielen noch eine Rolle?

Klarerweise spielt auch der demografische Wandel eine Rolle, die Gruppe ist kleiner geworden. Dazu kommt, dass Studenten sich unter der Woche stärker auf die Ausbildung konzentrieren und nur noch am Wochenende fortgehen. Und das Angebot an Alternativen ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen.

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